Pavel Liška: Nationalsozialistische Kunstpolitik

1971

Publication

Aus der Publikation:
Zur Reflexion des Nationalsozialismus durch die bürgerliche Kunstgeschichte: Unoriginalität als Wesensmerkmal des Nationalsozialismus

Die Einschätzung des Ursprungs und des grundlegenden Charakters nationalsozialistischer Kunst- und Kulturpolitik durch Kunsthistoriker und andere Kunstsachverständige der Gegenwart unterscheidet sich weitgehend von der Einschätzung desselben ‘Gegenstandes’ durch Historiker und allgemeiner, durch Gesellschaftswissenschaftler. Die angesprochenen Unterschiede in der Beurteilung treten besonders dann offen zutage, wenn man die, auf die Kunst des Nationalsozialismus bezogenen Aussagen der Kunstsachverständigen in ihren Konsequenzen, besonders im Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse verallgemeinert. Kunsthistoriker, so sie sich überhaupt mit den angesprochenen Problemen auseinandersetzen, d. h. so sie die Zeit nationalsozialistischen Einflusses auf Kunst nicht als weißen Fleck in der Geschichte auf sich beruhen lassen, verweisen immer wieder auf die ‘Überbewertung der Ratio und Technik’, die den Nationalsozialisten, weil ihnen ‘Staat und Politik.... wichtiger als Geist und Kunst’ waren, alles Gegenteilige, also auch die Kunst ‘unverständlich, verdächtig und hassenswert erscheinen’ (1) ließ.

Es fällt nicht schwer aufzuzeigen, dass es alles andere gewesen war, als die ‘Überbewertung von Ratio und Technik’, die zu der nationalsozialistischen Politik und eben auch zu der bestimmten Kunstpolitik geführt hatte. Aufgrund der Stellung der Kunst im 20. Jhd. ist es allerdings verständlich, dass den nur Kunstsachverständigen alle die ‘Kräfte’, die sich um die Organisation der gesellschaftlichen Belange kümmern als ‘Kräfte’ der zweckgebundenen Ratio und Technik, als ‘Kräfte’ der ‘unfreien’ Welt der Zweckmäßigkeit erscheinen, die eben deswegen abzulehnen sind. Das ist deswegen nicht verwunderlich, weil die, die sich umfassend politisch, organisatorisch betätigen, oft alles ‘Abseitige’ und damit auch die Kunst vernachlässigen, mit der allein sich die Kunstsachverständigen beschäftigen.

(1) Paul Ortwin Rave: Kunstdiktatur im II. Reich, Hamburg 1949, S. 8.