25. November 2022–9. Januar 2023
Künstler_innen
Martin Elmar de Haan / Anonym, Douglas Boatwright, Frauke Boggasch, Vlad Brăteanu, Margret Steenblock / ClaraRosa, Karolina Dreit / Kristina Dreit / Anna Trzpis-McLean (Arbeitszyklus Working Class Daughters), Margit Czenki für „Der goldene Engel –Pro System“ mit „Die Mission – künstlerische Maßnahmen gegen die Kälte e.V.“, Verena Brakonier / Greta Granderath / Jivan Frenster, Paul Goesch, Hannah Höch, Matthias Horn, Franziska König, Liang Luscombe, Silke Nowak, Verena Pfisterer, Jelka Plate, Karin Powser, Anna Schapiro, Arthur Segal, Marion Lebbe / Caroline Sebilleau / Emmanuel Simon, Christian Specht, Gabriele Stötzer, Mika Svolos, Hito Steyerl / Giorgi Gago Gagoshidze / Miloš Trakilović, Gülbin Ünlü, Anna-Lena Wenzel, Norbert Witzgall
Arbeitsgruppe
Frauke Boggasch, Silke Nowak, Anna Schapiro, Anna-Lena Wenzel, Norbert Witzgall
Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der nGbK und der Berlinischen Galerie.
Im Arbeitsfeld Kunst treffen extreme Klassenunterschiede aufeinander. Dem Karriereversprechen des Kunstmarktes stehen die häufig prekären Lebensrealitäten und Produktionsbedingungen von Künstler_innen gegenüber, hinter dem sichtbaren Glamour lauern verschwiegene Armut und Abhängigkeitsverhältnisse. Wie stark Herkunft Zugänge und Karriere beeinflusst und die Kunstproduktion von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital abhängig ist, wird in dieser Ausstellung thematisiert.
Dazu bringt Klassenfragen Werke aus der Sammlung der Berlinischen Galerie mit zeitgenössischen Positionen zusammen, von Zeichnungen und Malerei über Rauminstallationen bis hin zu filmischen Arbeiten und Hörstücken. Entlang von fünf inhaltlichen Strängen wurden Arbeiten ausgewählt, die Erfahrungen struktureller Benachteiligung beleuchten und Fragen verhandeln, die Klassismus im Kunstfeld aufwirft.
Dabei wird bewusst eine intersektionale Perspektive eingenommen und Klassismus mit Rassismus, Sexismus und Ableismus zusammengedacht, denn oft verzahnen sich verschiedene Diskriminierungsformen. Die Folgen dieser Diskriminierungserfahrungen können sich in Selbstzweifeln äußern oder auf die psychische Gesundheit auswirken. Liang Luscombe verdeutlicht diese Zusammenhänge in ihrer surrealen Video-Satire: Als Weg aus der Verschuldung erwägen die Protagonistinnen Plünderungen, die Flucht ins karibische Steuerparadies, ja selbst den Verkauf der eigenen Zähne.
Herkunft als Hindernis: Wenn die soziale Herkunft den Zugang zu Ausbildungsinstitutionen, Ausstellungsmöglichkeiten oder Förderungen erschwert, spricht man von Klassismus. Das kann mit mangelnden finanziellen Ressourcen ebenso zu tun haben wie mit fehlenden Kontakten oder mangelnden Kompetenzen zum Erstellen von Förderanträgen. Dabei sind Förderungen von entscheidender Bedeutung für eine Künstler_innenkarriere. Ihre Bedeutung benennt Vlad Brăteanu auf seinem Banner mit dem Spruch „Ein Künstler ohne Förderung ist kein Künstler“.
Produktionsbedingungen: Wie kann man Kunst machen, wenn weder Geld noch Raum zur Verfügung stehen? In der Ausstellung werden Werke gezeigt, die die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen im Kunstfeld verhandeln und dokumentieren. So mussten sich viele Künstler_innen aus finanziellen Gründen auf kleine Formate beschränken. Andere Vorhaben enden im Entwurfsstadium. Die Beiträge von Douglas Boatwright oder Verena Pfisterer veranschaulichen künstlerisches Arbeiten in prekären Verhältnissen: Wenn der Drucker nicht mehr funktioniert, zeigt der „Fehldruck“ den wortwörtlichen Druck der fehlenden Mittel. Wenn es keine Möglichkeit gibt, eine raumgreifende Installation zu realisieren, bleibt es bei der Ideenskizze im Kleinformat. Die Wandlabels sind dabei bewusst Teil des Ausstellungskonzepts: Sie geben Aufschluss über die tatsächlichen Produktionskosten einiger Arbeiten, Berufe der Eltern, die Anzahl der beantragten Förderungen oder Nebenjobs.
Kunstmarkt: Das Kunstfeld ist durch eine paradoxe Gleichzeitigkeit geprägt. Während die Arbeiten einiger weniger Künstler_innen astronomische Preise erzielen, arbeiten andere unter prekären Bedingungen und finanzieren sich durch Jobs auf Mindestlohn-Niveau. Die Sprecherin des Berliner berufsverbands bildender künstler_innen (bbk), Frauke Boggasch, zeigt die Absurditäten des Lebens in der Kunstszene anhand ihrer Aufnahmen vom langersehnten Stipendienaufenthalt in Paris, wo ihre, wenn auch kurzzeitigen, Privilegien auf fehlende Zugänge von Menschen treffen, die auf der Straße leben.
Leerstellen: Über viele Probleme wird aus Scham geschwiegen. So ist beispielsweise (Alters-)Armut selbst im sich häufig als progressiv und kritisch verstehenden Kunstbetrieb ein Tabuthema. Neben zahlreichen lebenden Kunstschaffenden war auch Hannah Höch davon betroffen, deren Arbeiten sich in der Sammlung der Berlinischen Galerie befinden. Deutlich wird dies anhand von ausgestellten Briefen von Künstler_innen über sechzig, die sich während der Corona-Pandemie um Fördergelder bewarben. Zu sehen sind darüber hinaus Arbeiten von Künstler_innen ohne akademische Ausbildung und solchen mit körperlichen oder mentalen Beeinträchtigungen – Positionen, die aufgrund von Zugangsbeschränkungen häufig unsichtbar bleiben.
Handlungsoptionen: Die Ausstellung endet mit der Frage nach Handlungsoptionen, Klassismus entgegen zu wirken und Wege zu einer solidarischeren Kunstwelt aufzuzeigen. Dazu zählen beispielsweise die Bemühungen, Produktionsbedingungen transparent zu machen, nur noch im Kollektiv zu arbeiten (wie die Gruppe La Buse), oder mittels anonymisierter Produktion dem idealisierten Bild des_der individualisierten Künstlers_in eine gemeinschaftliche Praxis entgegenzustellen.
Termine:
Sonntag, 13. November 2022, 11–18 Uhr (de)
nGbK-Veranstaltungsraum (verschoben von Stadtwerkstatt)
Workshop „Class Matters“ mit Francis Seeck
Klassismus bezeichnet die Diskriminierung aufgrund von Klassenherkunft oder Klassenzugehörigkeit und begrenzt den Zugang zu Kultur, Wohnraum, Bildungsabschlüssen, Gesundheitsversorgung, Macht, Teilhabe, Anerkennung und Geld. Der Workshop beschäftigt sich mit dieser oft vergessenen Diskriminierungsform. Es geht um die Frage: Wie zeigt sich Klassismus im Kulturbereich und was können wir praktisch dagegen tun?
Francis Seeck, 1987 in Ostberlin geboren, ist Kulturanthropolog_in, Autor_in und Antidiskriminierungstrainer_in. Als Kind einer alleinerziehenden, erwerbslosen Mutter erlebte Seeck schon früh die Auswirkungen der Klassengesellschaft. Heute forscht und lehrt Seeck zu Klassismus und sozialer Gerechtigkeit, nach einer Vertretungsprofessur für Soziologie und Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Neubrandenburg nun als Post-Doc an der HU Berlin. 2020 gab Seeck den Sammelband Solidarisch gegen Klassismus mit Brigitte Theißl heraus. Im Frühjahr 2022 erschien die Streitschrift zu Klassismus Zugang verwehrt bei Atrium.
Donnerstag, 24. November 2022, 19 Uhr
Eröffnung “Klassenfragen – Kunst und ihre Produktionsbedingungen”
mit Reden von Thomas Köhler (BG) / Klaus Lederer (Senator für Kultur und Europa) / Annette Maechtel (nGbK) / nGbK-Arbeitsgruppe Klassenfragen
und einer temporären Installation von Karolina Dreit / Kristina Dreit / Anna Trzpis-McLean (Arbeitszyklus Working Class Daughters)
Die Redebeiträge werden simultan in Deutsche Gebärdensprache (DGS) gedolmetscht.
Sonntag, 4. Dezember 2022, 15 Uhr (de/en)
Auditorium der Berlinischen Galerie
Podiumsdiskussion “Paradoxien des Künstler_innendaseins” mit der AG Klassenfragen, Marina Schulze und einer Performance von MYSTI
Moderation: Jacqueline Saki Aslan
Ausgangspunkt der Ausstellung Klassenfragen waren die zahlreichen wechselnden Rollen der Arbeitsgruppenmitglieder als Künstler_innen, Assistent_innen, Vermittler_innen und Gewerkschafter_innen im Kunstfeld. Zu ihrem Alltag gehört das Hoffen auf Förderungen ebenso wie das Querfinanzieren der künstlerischen Arbeit durch prekäre Jobs. Dem Bewusstsein für die Selbstgewähltheit ihrer Situation stehen konkrete Forderungen nach mehr Chancengleichheit, Transparenz und Umverteilung zur Seite.
Die Veranstaltung beginnt mit der Performance art is someone else’s illness von MYSTI – einem kritischen Blick auf die Funktion von Kunst und die Arbeitsverhältnisse im Kunstfeld. Diese Themen diskutieren anschließend Mitglieder der Arbeitsgruppe Klassenfragen mit Marina Schulze, die das Gespräch um eine intergenerationelle Perspektive erweitert.
Montag, 5. Dezember 2022, 14–15 Uhr
Ausstellungsraum Berlinische Galerie
Ausstellungsführung mit der AG Klassenfragen
Die Führung wird simultan in Deutsche Gebärdensprache (DGS) gedolmetscht.
Donnerstag, 15. Dezember 2022, 17 Uhr (de)
Ausstellungsraum Berlinische Galerie
Ausstellungsführung mit der AG Klassenfragen (für Mitglieder der nGbK)
Sonntag, 08. Januar 2023, 15 Uhr (de)
Auditorium der Berlinischen Galerie
Podiumsdiskussion “Praxen der Umverteilung” mit Verena Issel, Mareice Kaiser, Martina Witte, und einem Input von Jelka Plate
Moderation: Jacqueline Saki Aslan
Im Kunstfeld treffen prekär lebende Künstler_innen auf reiche Sammler_innen und Künstler_innen mit bildungsbürgerlichem Hintergrund auf solche aus Arbeiter_innen-Familien. Gleichwohl wird der individuelle Hintergrund selten thematisiert, ist es doch scheinbar nur die Qualität der Kunst, die zählt. Doch die Tatsache, wer Zugriff auf Förderungen hat, wer erbt oder kulturelles Kapital mitbekommen hat, trägt entscheidend dazu bei, unter welchen Bedingungen jemand arbeitet und wie bzw. ob jemand sichtbar wird.
Die Veranstaltung beginnt mit einem Input von Jelka Plate. In ihrer Arbeit etwas verdienen beschreibt sie, wie das Privileg zu erben ihr Selbstverständnis als Künstlerin durcheinander wirft. Im Anschluss wird die Frage diskutiert, wie sich Privilegien umverteilen lassen. Zu Gast sind die Künstlerin Verena Issel, die mehr Transparenz in finanziellen Fragen fordert, Mareice Kaiser, die in ihrem aktuellen Buch von Menschen mit sehr wenig Geld, von Menschen mit sehr viel Geld und von Menschen irgendwo dazwischen schreibt, sowie Martina Witte, die in den 1990er Jahren mit den „Prololesben” ein Umverteilungskonto initiierte.
Montag, 9. Januar 2023
14–15 Uhr
Ausstellungsraum Berlinische Galerie
Ausstellungsführung mit der AG Klassenfragen
19 Uhr (de/en)
Online-Podiumsdiskussion “Navigating an Unjust System” mit Douglas Boatwright, Vlad Brăteanu, Franziska König, Liang Luscombe und einem Input von Michael Annoff
Moderation: Jacqueline Saki Aslan
Es ist ein Paradox: Als Künstler_in bewegt man sich in einem System, das auf Ungleichheiten aufbaut. Man kann es kritisieren und gleichzeitig von ihm profitieren. In seinem Input benennt Michael Anhoff diese Paradoxie und fordert eine intersektionale Perspektive, die zudem über den Tellerrand des Kunstfeldes hinausblickt. In der anschließenden Diskussion tauschen sich die Künstler_innen Douglas Boatwright, Vlad Brăteanu, Franziska König, Liang Luscombe über ihre Erfahrungen aus. Durch den Umzug in ein anderes Land oder den Übergang in eine andere Klasse sind sie besonders für Ein- und Ausschlüsse sensibilisiert.
Finanziert von