28. September–29. Oktober 2006
Eröffnung:
27. September 2006
Künstler_innen
Arbeitsgruppe U2 Alexanderplatz
Christoph Bannat, Uwe Jonas, Annette Maechtel, Tine Neumann, Barbara Rüth, Birgit Anna Schumacher
Wegen Umbauarbeiten des U2-Bahnsteigs wird der Wettbewerb ausgesetzt und die Arbeitsgruppe lädt international agierende Künstler ein, Arbeiten im gesamten Untergrundareal Alexanderplatz zu realisieren.
Ayse Erkmen: U8
Bahnsteig U8
Auf dem Bahnsteig der Linie U8 im Untergrund des Alexanderplatzes präsentiert die Künstlerin Ayse Erkmen – in Istanbul geboren und heute sowohl dort als auch in Berlin lebend – erstmalig eine Klanginstallation: Trailermelodien, wie man sie aus Fernsehserien der Machart „Dallas“ und Co. kennt, kündigen auf beiden Bahnsteigseiten die einfahrenden Züge in jeweils anderen Variationen an. Die Melodien aus einem kommerziellen Musikarchiv in Istanbul erzeugen - wie zu Beginn einer Soap - melodramatische Spannung. Der Zug wird „main character“ eines Films, dessen Kulisse nicht allein der Bahnhof ist: Die Stadt als Ganzes offenbart sich als Inszenierung.
Mit dieser Installation verkettet und konfrontiert Ayse Erkmen die unterschiedlichen Ebenen von Film und Realität, dramatisch übersteigerter Erwartung und profanem Alltag - und hinterfragt sie gleichzeitig. Wie auch in ihren anderen Arbeiten verbindet die Künstlerin dabei Strategien der Minimal - und Konzeptkunst mit kulturellen Herkunftsfragen. 1997 etwa ließ sie für die Skulpturen-Projekte figürliche Plastiken aus dem 15. und 17. Jahrhundert an Hubschraubern befestigt über Münster fliegen; in Frankfurt brachte sie 2001 für ein Projekt der Deutschen Bank ausländische Fährschiffe dazu, den Rhein zu queren. Ohne auf eine „persönliche Handschrift“ oder medialen Wiedererkennungswert zu setzen, widmet sich Ayse Erkmen bei ihren Interventionen im öffentlichen Raum ganz dem Ort des Geschehens: präzise Beobachtungen führen sie zur Wahl des Themas und der Mittel, es zu bearbeiten.
Christine Hill: Welt der Weisheit
Überführung U2/U8
Der amerikanischen Künstlerin Christine Hill, die in New York und in Berlin lebt, geht es in ihren Arbeiten um die Verbindung zwischen zeitgenössischer Kunst, Konsum und Alltagswelt. So spielt auch ihr Beitrag im Untergrund des Alexanderplatzes auf Popkultur und Werbeparadigmen an. In der Passage zwischen den Bahnhöfen der Linien U2 und U8, wo eine kuriose Vielfalt anachronistisch anmutender Läden angesiedelt ist, erschafft Christine Hill ein eigenwilliges Leitsystem aus Schrifttafeln, Plakaten, handgemalten Schildern und bunt kopierten Flyern: Reiselektüre für die Großstädter, Impulse im Vorübergehen – Slogans fürs Leben. Die Textfragmente und Sentenzen lehnen sich an vertraute Formen und Formeln an, wie sie im Dienstleistungsbereich zum Einsatz kommen. Sie verkünden Optimismus, und sie stiften Sinn für eine teilweise verlassen wirkende Umgebung. Ähnlich wie die Geschäfte in der Unterführung scheinen auch sie ein wenig wie aus einer anderen Zeit und erinnern an die Reklame aus der Ära des Deutschen Wirtschaftswunders oder an Bildsprachen und Anzeigenkultur der DDR.
Christine Hills Installation imitiert subversive Strategien der urbanen Öffentlichkeit, lässt die Grenzen zwischen Kunst und Subkultur verwischen und zielt dabei ganz offensichtlich auf einen Prozess: des stetigen Entfernens, Auswechselns und Hinzufügens von Elementen.
Thomas Hirschhorn: Ingeborg Bachmann Altar
Überführung U8/S-Bahn
Mit dem „Ingeborg Bachmann Altar“ erschafft Thomas Hirschhorn im U-Bahnhof Alexanderplatz einen Ort der Ehre und des Andenkens an die verstorbene Schriftstellerin. Niedergelegte Blumen, Kerzen, Plüschtiere und andere Gaben erwecken den Eindruck eines Straßendenkmals, einer spontan entstandenen Sammlung von Beileidsbezeugungen für eine Person, die an dieser Stelle gestorben sein könnte.
„Diese wilde Mischung aus Dingen, Liebesbotschaften und Gaben an den Verstorbenen verfolgt keine ästhetische Absicht. Mich interessiert vielmehr die persönliche Verbindung, die sich darin ausdrückt. Sie kommt vom Herzen. Sie ist pure Energie“, sagt Thomas Hirschhorn.
Altäre wie dieser können überall entstehen: in verschiedenen Städten, am Straßenrand, auf Plätzen, an Hauswänden. Immer sind sie einem bestimmten Menschen gewidmet, doch die Stellen, an denen man diesem Menschen gedenkt, können wechseln: Der lokale Ort des Andenkens wird durch seine Kraft zum universellen Ort der Erinnerung. Weil sie prekär sind, besitzen die mit scheinbar Profanem bestückten Altäre Kraft und plastische Energie – weder Passanten noch Ordnungshüter würden es wagen, sie zu entfernen. Nur die Zeit lässt sie wieder verschwinden: Ein Straßendenkmal ist hochaktuell – und deshalb auch vergänglich.
Vier verstorbenen Künstlern und Schriftstellern hat Thomas Hirschhorn, der in Bern geboren wurde und heute in Paris lebt, temporäre Straßenaltäre gewidmet und in verschiedenen Städten aufgebaut: für Piet Mondrian, Otto Freundlich, Raymond Carver und Ingeborg Bachmann.
Jury:
Annette Maechtel, Tine Neumann, Birgit Schumacher, Christoph Bannat, Uwe Jonas, Barbara Rüth
Finanziert von
Unterstützt von