15. September 2022–4. Februar 2023
Eröffnung:
14. September 2022
Künstler_innen
Dana Kavelina, Mikhail Lylov, Guglielmo Piva, David Riff, Eran Schaerf, Madeleine Stöber
Teilnehmer_innen
Hans D. Christ, Iris Dressler, Dr. Julia Friedrich, Peter Nestler, Eran Schaerf, Oliver Sukrow, Dr. Urs Verweyen
Arbeitsgruppe station urbaner kulturen
Juan Camilo Alfonso Angulo, Jochen Becker, Eva Hertzsch, Margarete Kiss, Constanze Musterer, Adam Page, Ralf Wedekind
Gestaltung
Eine Ausstellung über eine Ausstellung über Ausstellungen
Salud – Picasso Speaking. ‚Guernica’ und der Krieg in den Städten greift Spuren und Stränge der mit Picasso verbundenen (Kunst-)Geschichten wieder auf und stellt sie in Bezug zu aktuellen Konflikten.
In Europa herrschte ein internationaler Krieg und der spanisch-französische Künstler Pablo Ruiz Picasso reagierte mit dem Monumentalgemälde Guernica. Die berühmte Friedenstaube, welche Brecht 1953 ungefragt als Vorhangmotiv des Berliner Ensembles nutzte, folgte später. Jenseits der Friedenstauben war der „Formalist“ Picasso den DDR-Behörden jedoch suspekt. Der Theatervorhang blieb bis 1993 im Einsatz und wurde zuletzt noch einmal aus Anlass des russischen Überfalls auf die Ukraine hervorgezogen.
An einige dieser Geschichten erinnerte erst kürzlich die außergewöhnliche Ausstellung Der geteilte Picasso im Museum Ludwig. Die Kölner Präsentation bezog dabei auch die Wanderschau von 1975 der NGBK (seit 2012 nGbK) Kunst und Politik am Beispiel Guernica. Picasso und der Spanische Bürgerkrieg mit ein: Diese reiste danach durch zahlreiche westdeutsche Schulen, Kulturzentren und sogar bis zur Biennale in Venedig. Und schlug sich in einem WDR-Fernsehbericht nieder, wo Jugendliche einer Gesamtschule von friedvolleren Zeiten träumten. Die „didaktische Ausstellung“ rannte gegen die Verbrechen der Wehrmacht an und zerlegte analytisch das panoramische Bild Guernica in aussagekräftige Einzelteile. Die Verbindung der Westberliner Linken zur DDR ging dabei über den räumlichen Bezug der NGBK an der Kreuzberger Grenze zu Ostberlin hinaus.
Der Titel der aktuellen Ausstellung Salud – Picasso Speaking zitiert den Künstler, als er im Dezember 1937 in seiner symbolischen Funktion als Direktor des Prado-Museums zum Telefon griff, um den Zweiten Amerikanischen Künstlerkongress (AAC) in New York mitten im Spanischen Bürgerkrieg zur Solidarität mit dem internationalen Widerstand gegen Franco, Hitler und Mussolini aufzufordern. 1939 gelang es dem AAC, Guernica nach New York zu bringen, um Geld zur Unterstützung der spanischen Flüchtlinge zu sammeln. Nach weiteren Reisen landete das Gemälde im MoMA, bis es 1981 zurück in ein demokratisches Spanien überführt wurde.
Der vor dem Franco-Faschismus exilierte und lange in Frankreich recht- und staatenlose Künstler trat 1944 in die Kommunistische Partei ein. Picasso hielt Verbindungen zur illegalen spanischen KP und spendete viel Geld für die Genoss_innen. Während er sich selten aus seinen Ateliers entfernte, war er doch bei den Friedenskongressen in Rom, Moskau oder Sheffield stets dabei. In die Nachfolgestaaten des Deutschen Reichs reiste der „geteilte Picasso“ jedoch nie.
Salud – Picasso Speaking. ‚Guernica’ und der Krieg in den Städten versammelt Materialien und Geschichten in einer Ausstellung über eine Ausstellung über Ausstellungen. Der in Berlin lebende Künstler Eran Schaerf wird mit der Kuratorin Julia Friedrich (Museum Ludwig Köln, jetzt Jüdisches Museum Berlin) an ihr Picasso-Projekt in Köln erinnern. Picassos einzigartiger wie ambivalenter Rolle als Global-Künstler, dem eine posthume Verwertungsindustrie angeschlossen ist, widmen sich der in Berlin lebende russische Künstler Mikhail Lylov und die ukrainische Künstlerin Dana Kavelina gemeinsam mit David Riff und Guglielmo Piva in einer Soundarbeit.
Termine:
Mittwoch, 14. September 2022, ab 18 Uhr
Eröffnung im Rahmen der Berlin Art Week
Donnerstag, 27. Oktober 2022, 19 Uhr (de)
station urbaner kulturen + Zoom
Gespräch „Josep ‚José‘ Renau in Hellersdorf“ mit Oliver Sukrow (Kunsthistoriker, Wien/Mannheim)
Gespräch mit Oliver Sukrow (Kunsthistoriker, Wien/Mannheim) über den engagierten Künstler und Funktionär Josep ‚José‘ Renau, der als spanischer Kunstkommissar Picasso 1937 den Auftrag zu Guernica gab und später in Hellersdorf-Mahldorf ein Wohnatelier unterhielt.
Der spanische Maler, Grafiker und Fotomontagekünstler sowie Kulturpolitiker, Hochschullehrer und Wandgestalter Josep Renau wurde 1907 in Valencia geboren und verstarb 1982 in Ost-Berlin. Als Künstler stand er in der Tradition von John Heartfield, rettete die Kunstschätze des Kunstmuseums Prado in Madrid vor der Zerstörung durch die Truppen Francos, war im Kollektiv um den Muralisten David Alfaro Siqueiros im mexikanischen Exil, arbeitete als Trickfilmanimateur für den Deutschen Fernsehfunk und erarbeitete in den 1970er und 1980er Jahren großflächige futuristische Wandarbeiten in Halle und Erfurt.
„Renau war in der DDR, in einem in stilistischer Hinsicht konservativen Umfeld, einerseits ein avantgardistischer Künstler und er war andererseits Kommunist, und zwar ein echter Revolutionär in einer von Bürokraten beherrschten Welt. (…) In der DDR war er Kommunist, Stalinist, davon war sein Denken geprägt. Was seine Arbeit, seine Gefühle und seine Kunst anbelangt, so sah es anders aus.“ (Albert Forment)
Freitag, 18. November 2022, 19 Uhr (de)
station urbaner kulturen + Zoom
Gespräch „The Making of ‚Der geteilte Picasso’“ mit Eran Schaerf (Künstler/Gestalter, Berlin) und Julia Friedrich (Kuratorin, ehem. Museum Ludwig Köln)
Anstoß für die Ausstellung Salud – Picasso Speaking. Guernica und der Krieg in den Städten hat die bahnbrechende Kölner Ausstellung Der geteilte Picasso im Museum Ludwig gegeben. Das Haus ist Hort von knapp 1000 Werken des Künstlers, welche Namensgeber Peter Ludwig über Jahrzehnte angesammelt hatte, und stellt sich so auch der eigenen Geschichte. Im Zentrum steht der zwischen Ost- und Westdeutschland gespalten rezipierte Künstler Pablo Ruiz Picasso und sein vielgestaltiges Werk. War er im Westen immer mehr eine Figur der Klatschblätter oder Großevents, blieb er im Osten häufig auf die Friedenstaube – etwa als Signet des Brecht-Theaters – oder wenige Druckgrafiken beschränkt.
Das von Julia Friedrich kuratierte raumgreifende Kölner Picasso-Projekt wäre ohne die Installationen des Konzeptkünstlers Eran Schaerf kaum möglich. Beide werden im Gespräch in der station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf über ihre langwierige, prozesshafte und durch Rechtsfragen hürdenreiche Arbeit berichten.
Formal nähert sich die Kölner Großinstallation der aufklärerischen Wanderausstellungen Kunst und Politik am Beispiel Guernica. Picasso und der Spanische Bürgerkrieg des Kreuzberger Kunstvereins NGBK von 1975 an, welche nun in Hellersdorf durch neue Akten- und Materialfunde teilweise rekonstruiert werden konnte. Die „didaktische Ausstellung“ rannte gegen das Verbrechen der Wehrmacht an und zerlegte analytisch das panoramische Bild Guernica in aussagekräftige Einzelteile.
Dienstag, 13. Dezember 2022, 19 Uhr (de)
station urbaner kulturen
Gespräch „Nach Spanien!“ mit Peter Nestler
Nach Spanien!
Ein Gespräch mit dem Dokumentarfilmer über seinen jüngsten Film Picasso in Vallauris
Der Dokumentarist Peter Nestler (geboren 1937 in Freiburg, lebt seit 1966 bei Stockholm) begleitet zwischen Engagement und professioneller Umsicht zahlreiche gesellschaftliche und politische Umbrüche. So realisierte Nestler für den WDR den Kurz-Dokumentarfilm Spanien! (1973) über den antifaschistischen Bürgerkrieg in Spanien, der beim Preis der deutschen Filmkritik als Bester Kurzfilm ausgezeichnet wurde.
Aus Anlass der Kölner Ausstellung Der geteilte Picasso im Museum Ludwig erarbeitete er mit Picasso in Vallauris (2020) einen Film über Picassos Wandgemälde Krieg und Frieden (1949-54). Der Film blickt vom heutigen Vallauris in Südfrankreich aus auf die Entstehung und Auswirkungen des über alle Wände einer Kapelle sich erstreckenden Monumentalbilds.
Donnerstag, 12. Januar 2023, 19 Uhr (de)
station urbaner kulturen + Zoom
Vortrag „Alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Collagen, recherchebasierte Arbeiten – Pastiche als Schutz von Kunst- und Meinungsfreiheit“
Eine Informationsveranstaltung des Rechtsanwalts Urs Verweyen mit anschließender Diskussion
Die Ausstellung Salud - Picasso Speaking. Guernica und der Krieg in den Städten in der station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf war noch nach der Eröffnung durch die Auflagen der Verwertungs- und Bildrechte seitens der Picasso-Erbengemeinschaft (Succession Picasso) geprägt. Eine erfahrene Kuratorin warnte im Vorfeld: „Jeder Quadratzentimeter Picasso kostet“. Also musste das kuratorische Team andere Wege finden, 48 Jahre nach der NGBK-Ausstellung Guernica – Kunst und Politik am Beispiel Guernica. Picasso und der Spanische Bürgerkrieg erneut zu dem Gemälde Guernica zu arbeiten.
Die heimlich aus Frankreich geschmuggelten Guernica-Poster, welche illegal an den Wänden zahlloser spanischer Wohnzimmer hingen, brachten lange vor dem Ende der Franco-Diktatur das politisch aufgeladene Werk zurück an den Ort der Verbrechen.
Pablo Ruiz Picasso wie auch Bertold Brecht waren dafür bekannt, sich großzügig aus dem Reservoir der Bild- bzw. Textgeschichte zu bedienen. Sie bezogen sich dabei – mehr oder weniger kenntlich gemacht – auf historische Werke großer Künstler_innen und Autor_innen genauso wie auf triviale Bild- und Textquellen. Dies steht im scharfen Gegensatz zur Politik der Erben von Brecht, Picasso & Co.
Im Rahmen der Ausstellung war die nGbK mit Vorgaben zu Persönlichkeits-, Bild- und Urheberrechten der Succession Picasso, vor Ort durch die VG Bild-Kunst vertreten, konfrontiert. Während Automarken gegen exklusive Lizenzgebühren mit „Picasso“ signieren dürfen, sollte nach den Vorgaben der Succession die Ausstellung mit dem Titel Salud - Picasso Speaking nicht ohne ein vollständig abgebildetes Werk von Picasso angekündigt werden. Eine weitere Vorgabe bezog sich auf eine künstlerische Collage, in der ebenfalls ein bearbeitetes Porträt von Picasso nicht in der Nutzung genehmigt wurde.
Rechtsanwalt Urs Verweyen wird am konkreten Beispiel der Ausstellung Salud – Picasso Speaking in das Urheberrecht einführen und zugleich zeigen, wie dies in den Alltag der Kuratierung und Gestaltung von Kunstwerken und Ausstellungen recherchebasierter Arbeiten, wie sie für die nGbK typisch sind, auswirkt. Zudem bespricht er, welche (neuen) Mittel es gibt, um Einflussnahmen durch Dritte wie Verlage und Verwerter zu vermeiden, und thematisiert auch die Rolle der VG Bild-Kunst.
Dr. Urs Verweyen ist seit über 15 Jahren als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Urheberrecht in Berlin tätig und seit fast 20 Jahren Mitglied der nGbK. Er vertritt regelmäßig Künstler_innen unterschiedlicher Bereiche in Verfahren zur angemessenen Vergütung und Nachvergütung, in Lizenz und Vertragsfragen, und beim Schutz ihres geistigen Eigentums.
Donnerstag, 2. Februar 2023, 19 Uhr (de)
station urbaner kulturen + Zoom
Buchvorstellung und Diskussion „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus“ mit Iris Dressler und Hans D. Christ (Leitungsteam Württembergischer Kunstverein Stuttgart)
Im Rahmen der Ausstellung Salud – Picasso Speaking. Guernica und der Krieg in den Städten in der station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf stellen Hans D. Christ und Iris Dressler ihre neueste Publikation 50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus vor und setzen sie in Beziehung zu Aspekten der Schau – insbesondere in Bezug auf den Spanischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung von 1937.
Entgegen der historisierenden und auf Westdeutschland und die USA reduzierten Rezeption des Bauhauses 1968 reflektiert 50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus die berühmte Schule im Kontext künstlerischer Bewegungen wie dem Mouvement International pour un Bauhaus Imaginiste oder der Situationistischen Internationalen.
Am 4. Mai 1968 und wenige Stunden nachdem in Paris die Proteste revoltierender Studierender zur Räumung der Universität Sorbonne geführt hatten, wurde im Württembergischen Kunstverein die Ausstellung 50 Jahre Bauhaus eröffnet. Die von Herbert Bayer, Ludwig Grote, Hans Maria Wingler und dem damaligen Kunstvereinsdirektor Dieter Honisch konzipierte Schau gilt bis heute als eine der wirkungsmächtigsten Ausstellungen zum Projekt Bauhaus. Zeitgleich wurde weniger als 100 Kilometer entfernt die Hochschule für Gestaltung in Ulm abgewickelt. Diese galt als die – dann letzte – Wiederauferstehung des immer wieder aus Deutschland vertriebenen Bauhauses.
50 Jahre nach der Eröffnung von 50 Jahre Bauhaus unternahm der Württembergische Kunstverein eine kritische Re-Lektüre der 1968er-Ausstellung sowie der opportunistischen Politik vieler Akteur_innen. Dabei wurden insbesondere die ambivalenten Beziehungen zwischen einer Reihe prominenter Bauhäusler_innen und dem Nationalsozialismus analysiert. Dies bezog sich unter anderem auf die Entwicklungen des modernen Ausstellungsdisplays zwischen Experiment und politischer Propaganda. Aber auch das Verhältnis zwischen den künstlerischen Avantgarden und dem industriell-militärischen Komplex wurde in den Blick genommen.
Ausgehend von ihrer Publikation sprechen Dressler und Christ über die kollektiven kuratorischen Methoden des Stuttgarter Projekts – und nicht zuletzt über die historischen Bande zwischen dem Stuttgarter Kunstverein und der damaligen NGBK, die diese Veranstaltung wieder aufnehmen möchte.
Iris Dressler und Hans D. Christ leiten seit 2005 den Württembergischen Kunstverein in Stuttgart. 1996 gründeten sie den Hartware MedienKunstverein in Dortmund und haben ihn bis 2004 verantwortet. 2019 waren sie die künstlerischen Leiter_innen des Bergen Assembly.
Finanziert von
Die station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf ist Teil der Initiative Urbane Praxis.