20. Januar–19. Dezember 2017
Teilnehmer_innen
Freitag, 20. Januar 2017, 19.30 Uhr
Veranstaltung (öffentlich)
Samstag, den 21. Januar 2017, 12-20 Uhr
Tagesseminar (mit Anmeldung)
Islamismus als Krisenreaktion
Der Islamismus ist ohne Frage eines der zentralen Themen der Gegenwart. Allzu oft wird der Islamismus dabei jedoch als archaische, also vormoderne Erscheinung abgetan. Dabei sehen wir in den gegenwärtigen islamistischen Gruppen und Gangs ein Phänomen der kapitalistischen Krise: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Islamismus schweigen!« Der moderne Islamismus entstand im Umfeld und als Reaktion zu der Weltwirtschaftskrise von 1929. Er ist auch aktuell eine reaktionäre Antwort auf die Krise, der gegen die Moderne, die Aufklärung und auch alle linken Ideen als vermeintliche Ursache der Krisen vorgeht.
In aufstrebenden islamistischen Bewegungen wie beispielsweise dem IS versammeln sich meist Männer, die sich vor dem Hintergrund massiven sozialen und/oder psychischen Elends zu gewalttätigen Herren über andere aufschwingen. Die im Kern auf Unterwerfung abzielende Ideologie legitimiert eine gewaltsame Praxis und scheinbar privilegierte soziale und ökonomische Existenz. Die Niederlage des »Arabischen Frühlings« hat zur Stärkung des Islamismus geführt. Obwohl sich die Islamisten, wenn auch eher zaghaft, an den Protesten beteiligt haben, müssen sie als eine der dynamischen und konterrevolutionären Kräfte in den Revolten gesehen werden.
Auch von linker Seite wird der Begriff Islamismus zumeist als inhaltsleere Hülle gebraucht. Entweder wird in moralisch verdammender Absicht von »Islamfaschismus« gesprochen oder toleranzgeschwängert und antirassistische Alarmglocken läutend vor steigender »Islamophobie« gewarnt. Darum haben die Genossinnen und Genossen von La Banda Vaga den Versuch unternommen, sich dem Phänomen mit einigen Thesen über die materiellen und historischen Grundlagen des Islamismus sowie zu den daraus resultierenden politischen Konsequenzen anzunähern. Diese Thesen werden sie auf der Veranstaltung vorstellen und im Anschluss diskutieren.
Dienstag, 19. Dezember, 19.30 Uhr
Im Veranstaltungsraum der nGbK, 1. OG
Endstation Katalonien
Warum die Unabhängigkeitsbewegung eine Sackgasse ist
Vortrag & Diskussion mit Corsino Vela (Barcelona)
Seit dem Kriseneinbruch 2008 hat nicht nur der Nationalismus Hochkonjunktur, auch seine kleine Schwester, der Separatismus, erlebt in Europa einen Boom. Fast jedes Jahr entdecken in irgendeiner Provinz Millionen Menschen auf einmal eine beachtliche Liebe zu ihrer Heimat. Dabei kommt es zu durchaus grotesken Momenten: Schotten, die ihren geliebten Nationalsport Baumstammwerfern gefährdet sehen, Flamen, die ihren Nationalstolz in der Pommes-Fritteusenkunst feiern, und Katalanen, die Angst haben, dass der spanische Staat ihnen nicht nur das Geld wegnimmt, sondern auch noch ihre Menschenpyramiden verbietet.
Allerdings geht es um mehr als Folklore. Im Falle Kataloniens zum Beispiel besetzen Hunderttausende von Menschen Schulen, organisieren sich auf Stadtteilversammlungen und widersetzen sich gemeinsam den Anweisungen des (spanischen) Staates. Das wirkt erst einmal vielversprechend. Grund genug für viele Linke, im Showdown um die katalanische Unabhängigkeit mit den Separatisten zu sympathisieren. Nicht zuletzt dazu beigetragen haben die brutalen Bilder der spanischen Militärpolizei Guardia Civil, die mit Knüppeln auf eifrige Demokraten an der Wahlurne einprügelt. Zudem zeigen die Katalanen nicht die hässliche Fratze des Nationalismus – oft weht neben ihrer Nationalfahne auch noch der Slogan Refugees Welcome. Der Plot scheint also klar: auf der einen Seite die freiheitsliebenden, politisch weltoffenen und progressiven Katalanen, die ihr kleines Stück Heimat selbst regieren wollen, auf der anderen die postfranquistische Regierungspartei PP und ihre Schergen, die noch aus der Zeit der Diktatur stammen. Auffällig, doch wenig überraschend, dass hierzulande die gleichen Gruppen und Personen in der katalanischen Bürgerbewegung eine Chance auf soziale Veränderung, gar mögliche revolutionäre Umbrüche wittern, die auch schon fernab jeder Staatskritik auf Hugo Chávez gehofft, mit Syriza sympathisiert und so manch eine maoistische Guerillatruppe gefeiert haben. Aber selbst anarchosyndikalistische Genossen sehen mindestens neue Möglichkeiten, die sich durch die causa Catalonia ergeben könnten.
Wie immer, wenn es um die nationale Frage geht, bricht sich der Wahnsinn allerdings auch hier Bahn: Spiegelbildlich zu den spanischen Nationalisten und Francoverehrern, die bei ihren Umzügen durch Barcelona die Guardia Civil feiern, fallen treue katalanische Bürger_innen den eigenen Ordnungshütern Mossos d`Esquadra um den Hals, beschenken sie mit Blumen und erhoffen sich Schutz vor dem spanischen Staat von ihnen. Wenn das irrationale Moment überhand nimmt, treten die eigentlichen Probleme schnell in den Hintergrund. Keine Rede mehr ist von der Krise, die in Katalonien und auf der ganzen iberischen Halbinsel ihre Spuren hinterlassen hat: Jugendarbeitslosigkeit von über 30 Prozent, prekäre Arbeitsbedingungen, Rentenkürzungen, Hunderttausende Menschen, die ihre Wohnungen und Häuser verloren haben, Suizidrate auf Rekordhöhe – das ganze Programm, von dem Millionen Menschen in Südeuropa betroffen sind.
In diesem Licht erscheint der katalanische Nationalismus vielen, die den Glauben an eine bessere Zukunft weitgehend verloren haben, als letzte Hoffnung. Der soziale Abstieg und die innere Leere will kompensiert werden: durch Heimat und Identität. Auf denselben Plätzen in Barcelona, die noch vor wenigen Jahren besetzt wurden, um gegen die drastischen Sparmaßnahmen zu kämpfen, stehen jetzt dieselben Leute wie damals und schreien nach ihrer eigenen Nation. Und hier zeigt sich wohl am besten die Absurdität des katalanischen Dramas. Denn den Verfechtern der Unabhängigkeit geht es nicht um die Wahrung ihrer Menschenpyramiden, sondern vor allem um den eigenen Geldbeutel. Neben der post-franquistischen Verfassung beklagen sie, dass der spanische Zentralstaat dem reichen Katalonien zu viel Geld abpresse. Die soziale Frage wurde dabei schon längst zugunsten der nationalen kassiert. In ganz Spanien dominiert seit Monaten nur noch ein Thema die Gespräche an den Stammtischen und auf den Straßen: Wem gehört Katalonien? Selbst ein Generalstreik wurde kurz nach dem Referendum zum nationalen Streik gedreht – mit Unterstützung der katalanischen Regierung, die sonst eher dafür bekannt ist, wenn nötig die geballte Staatsmacht gegen Arbeitsniederlegungen einzusetzen. Für die Proletarisierten auf der iberischen Halbinsel ist die aktuelle Bewegung eine Sackgasse, denn durch Kleinstaaterei wird sich an ihrer Lage auch in Zukunft nichts zum Besseren ändern.
Corsino Vela ist ehemaliger Bergarbeiter aus Asturien, beteiligte sich in den 1970er Jahren am Wiederaufbau der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT und als Fabrikarbeiter an den wilden Streiks in der katalanischen Industrie. Er ist Mitherausgeber und Autor verschiedener sozialrevolutionärer Zeitschriften und Bücher. In seinem Vortrag wird er die Hintergründe und politischen Motive der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung beleuchten und auf ihre soziale Zusammensetzung eingehen.