16 April–29 May 2005
Opening:
15 April 2005
Artists
Volker Albus, Kamal Aljafari, Andreas Boebel, Kayle Brandon & Heath Bunting, Peter Friedl, Jean-Luc Godard & Anne-Marie Miévill, Jacqueline Hassink, Marc Krusin, John Pilson, Thorsten Streichardt
Participants
Project group RealismusStudio
Friederike Anders, Hildtrud Ebert, Anke Hoffmann, Christin Lahr, Annette Tietenberg, Frank Wagner, Ute Ziegler
Im Rahmen des Designmai und des 3. Internationalen Designfestivals Berlin mit dem Themenschwerpunkt “Schöne neue Welten”.
Aus der Pressemitteilung:
Die Ausstellung ‘Office Hours’ widmet sich dem Büro – einem Ort, dessen Funktion darin besteht, dass an ihm gearbeitet wird. ‘Office Hours’ fragt danach, auf welche Weise sich Büros materialisieren, die nicht zuletzt ein Konglomerat telekommunikativer Schnittstellen sind und untersucht kritisch ein aktuelles Phänomen: die Gestaltung von schönen neuen Arbeitswelten.
Künstlerinnen und Künstler, Designerinnen und Designer reflektieren, welche Folgen das Verschmelzen von Privatleben und Arbeit, die Erweiterung des traditionellen Büros um Wellnessbereiche und Breakouts hat. Sie interpretieren das Büro als räumliche Manifestation von Effizienz, als Maschine mit hyperkomplexer technologischer Dynamik, als Ort sozialer Kontakte sowie als Schaubühne einer psychischen und ästhetischen Konditionierung, dessen Gestaltung dazu beiträgt, dass Menschen ihre Arbeit als mehr oder weniger sinnstiftend empfinden.
Jacqueline Hassink dokumentiert Versuche der symbolischen Aneignung von Arbeitsplätzen. Im Rahmen ihrer Fotoserie ‘Cubicles’ hält sie Büroräume und Bildschirmschoner von Software-Ingenieuren in Silicon Valley fest. Die persönlichen Gegenstände übernehmen hier die Funktion, der Tätigkeit im Netz elektronischer Datenströme Anschaulichkeit zu verleihen. John Pilson stellt in seinem Video ‘Above the Grid’ einen Zusammenhang zwischen der nach einem strengen Raster angelegten Stadtstruktur New Yorks und der Aneinanderreihung von Büros her, die arbeitsökonomischen Gesetzen folgt. Dem Raum gewordenen Rationalismus begegnen die Büroangestellten mit irrationalen Handlungen. Das selbstreferentielle System Büro setzt Thorsten Streichardt mit Hilfe typischer Büroutensilien in Szene: Kaffeemaschinen, die zusammengeschlossen sind, pumpen unter lautem Zischen und Stöhnen heißes Wasser im Kreis herum. Andreas Boebel liefert Unterlagen für Berufstätige, die rund um die Uhr Produktivität simulieren müssen. In einem unbeobachteten Moment können sie das weiche Innenleben ihrer Ordner entfalten und sich eine kurze Erholungspause gönnen. Volker Albus führt im Dia vor Augen, auf welche Arbeitsbedingungen der nomadische Büroarbeiter stößt, sobald er ein Hotelzimmer – egal, in welchem Land der Erde – betritt: unzweckmäßiges Mobiliar, halbdunkle Nischen, Rattansessel und Messinglampen machen es dem sensiblen Zeitgenossen nahezu unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, diesen in seinen Laptop einzugeben. Marc Krusin entwirft eine Lounge, die eben jenen Wohlfühlcharakter entfaltet, der heute für die Büroarbeit so unabdingbar zu sein scheint. Kayle Brandon & Heath Bunting analysieren den Inhalt und die tiefere Bedeutung von Lunchboxes, in denen das zu Hause zubereitete Essen ins Büro transportiert wird, und Peter Friedl dokumentiert per Foto und Video ein Experiment. Er ermöglichte es der Belegschaft der Société des Expositions du Palais des Beaux-Arts in Brüssel, vorübergehend einen Identitätswechsel vorzunehmen: Wer wollte, durfte in ein Kostüm schlüpfen und im neuen Gewand seiner Arbeit nachgehen. Kamal Aljafari zeigt in seinem Film ‘Visit Iraq’, dass ein leerstehendes Büro der Iraqi Airways in Genf Anlass zu vielfältigen Spekulationen gibt. Zur historischen Fundierung des Themas trägt das Video ‘Marcel’ von Jean-Luc Godard & Anne-Marie Miéville aus den siebziger Jahren bei: Anhand der Bilder lassen sich selbstbestimmte und entfremdete Arbeit nicht voneinander unterscheiden.
Zur Ausstellung ist eine Broschüre erschienen.
Press commentary
Tagesspiegel, 17.04.2005 (Philipp Lichterbeck)
“Nun widmet man sich mit der Ausstellung ‘Office Hours – Strukturwandel der Arbeitswelten’ dem Büro, das die Fabrik als Arbeitsplatz der Massen abgelöst hat. Die Ausstellungsmacherinnen Annette Tietenberg und Ute Ziegler nehmen eine provokant affirmative Haltung ein. Das Büro ist bei ihnen nicht der Ort, an dem Menschen beim Verrichten sinnloser Tätigkeiten ihre körperliche und seelische Gesundheit lassen. Es geht den Kuratorinnen darum zu zeigen, was in den Büros von heute anders ist als vor zwanzig Jahren. Ute Ziegler ist auch Geschäftsführerin der ‘Gesellschaft für bessere Möbel’.”
Süddeutsche Zeitung, 20.05.2005 (Tobias Timm)
“Für viele klingt es paradiesisch: Arbeiten wann und wie man will […]. De facto bedeutet das Home Office jedoch meist nicht eine unentfremdete Arbeit, sondern die Ausweitung der Ausbeutungszone. Bisher war das Zuhause die Festung gegen Arbeitswelt […]. Zu Hause war Frei-Zeit. Heute sind die Heimbüros der Ich-AG ein Hort der totalen Selbstausbeutung. […] Im Zeichen des Informationskapitalismus und der Wissensgesellschaft planen auch die Architekten Häuser heute so, dass man in ihnen sowohl wohnen als auch arbeiten kann. Dabei entsteht eine neue gesellschaftliche Hierarchie zwischen denen, die ins Büro dürfen, und jenen, die zu Hause arbeiten müssen. […] So entsteht ein neues Proletariat, eine Gruppe von Arbeitenden, die zwar ihre Produktionsmittel - Computer, Telefon, Briefkasten - besitzen, aber auf das, was mit ihren Produkten geschieht, nur wenig Einfluss nehmen können. Doch auch beim klassischen Büro zeichnet sich ein Wandel in der Innenarchitektur ab. Die immergleichen langweiligen Arbeitszellen sollen […] modularen und kommunikativen Büroinseln weichen, auf denen sich alle primären Bedürfnisse befriedigen lassen.”
Berliner Zeitung, 19.05.2005 (Carmen Böker)
“Das RealismusStudio, eine Arbeitsgruppe der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), ist der Frage nachgegangen, in welcher Form sich Büros unterdessen tatsächlich verwandelt haben. Die erwartungsvollen Prognosen der frühen Neunziger hingen zusammen mit den Innovationen der Kommunikationsmedien: ‘SMS, Videokonferenz, Handy und E-Mail verwandeln die ganze Welt in einen Arbeitsplatz’ schreibt Annette Tietenberg in der Broschüre zur Ausstellung […]. Es war also zu erwarten, dass die Arbeit mobil würde, sich ‘ent-orte’ - allerdings nur sehr bedingt. Gewiss seien die Unterschiede unterdessen zwischen Freizeit und Arbeit verwischt, doch […] ‘Dem Büro kann auf Dauer nur fern bleiben, wer eine untergeordnete Tätigkeit ausübt - und keine Macht hat’.”
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.05.3005 (Mark Siemons)
“Die Ausstellung ‘Office Hours’ […] handelt vermeintlich von Angestellten und ihren Behausungen, doch ihr wahrer Fluchtpunkt scheint eine bislang nicht recht eingestandene Künstlersehnsucht zu sein. Bislang gab die Büro-Existenz in ihrer mickrigen schablonenhaften, kurz: entfremdeten Gestalt wie selbstverständlich eine Antithese zum Selbstbild des Künstlers ab, als dessen vornehmste Aufgabe es galt, sich zu artikulieren - wobei natürlich mitgedacht war, daß dies die eigentlich menschliche, erstrebenswerte Lebensweise sei.”