26. Juni–15. August 2010
Eröffnung:
25. Juni 2010
Künstler_innen
Stuart Brisley, Victor Burgin, David Hall, Margaret Harrison, Derek Jarman, Peter Kennard, John Savage, Jo Spence, Homer Sykes
Arbeitsgruppe
Boris von Brauchitsch, Peter Cross, Astrid Proll, Jule Reuter
“Their crisis – our jobs” steht in fetten Lettern auf einem Plakat, das gegen Arbeitslosigkeit und für echte Arbeitsplätze wirbt. Doch dieses Plakat stammt nicht etwa von heute, sondern ist mehr als dreißig Jahre alt, als schon einmal eine einschneidende soziale Eruption die britische Gesellschaft erschütterte, an deren Ende Margaret Thatcher und die Geburt des Neoliberalismus standen. Wie aktuell manche Themen heute wieder oder noch immer sind, zeigt die Ausstellung ‘Goodbye London’ in einer vielschichtigen Präsentation zu Politik, Alltag und Kunst, die das Lebensgefühl in einer tief greifenden Krise widerspiegelt.
Düstere Fotografien von John Savage oder Homer Sykes zeigen ganze Londoner Stadtteile, die durch spekulativen Leerstand zugrunde gingen, aber auch alle Formen des wachsenden Protests, der in seiner konstruktiven Form neuen Zusammenhalt erzeugte. Neben der Hausbesetzerszene thematisiert die Ausstellung die feministische und die Schwulenbewegung, den Arbeitskampf in den Fabriken und die Solidarität mit den internationalen Befreiungskämpfen.
Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Niedergangs des Landes entwickelte sich in der Hauptstadt eine vitale Kunstszene, die die leer stehenden Fabriken und Warenhäuser kreativ nutzte. Am Tolmers Square etablierte sich die Druckerei eines Poster-Kollektivs, in dem Aktionsgruppen ihre Plakate für die politische Arbeit drucken lassen konnten. Künstler wie Peter Kennard, die sich auf die Bildästhetik von John Heartfield bezogen, reagierten mit Collagen und Fotos unmittelbar auf die internationale Tagespolitik. Margaret Harrison formulierte, wie auch Jo Spence mit dem Hackney Flashers Women’s Photography Collective, feministische Positionen. Der Video-Künstler David Hall sezierte die Militanz der Medien, Victor Burgin nutzte Werbeästhetik, um die weitreichenden Folgen ungerechter Besitzverhältnisse zu analysieren.
Derek Jarmans frühe 16-mm Filme schlagen einen anderen Ton an. Sie weisen mit ihren ästhetisch aufgeladenen Bildern auf seine späteren Verfilmungen hin, die homosexuelles Verlangen in eine gewaltsam-schöne Bildsprache übersetzen. Ein ästhetisches Gegenprogramm verkörperten in jener Zeit die Performances von Stuart Brisley. In ihnen setzt sich der Künstler existentiellen Grenzerfahrungen wie beispielsweise tagelanger völliger Isolation aus.
Die Ausstellung veranschaulicht das Potential, das aus einer Krise erwachsen kann, beleuchtet die Möglichkeiten und Grenzen der Radikalisierung und macht mit den gezeigten künstlerischen Positionen auf eine politisch engagierte Kunstszene in London aufmerksam, die zumindest in Deutschland bis heute weitgehend unbekannt geblieben ist.
Zur Ausstellung erscheint eine kleine Publikation mit Texten von Boris von Brauchitsch und Jule Reuter (deutsch/englisch) im Verlag NGBK, 48 Seiten / ISBN: 978-3-938515-36-5.
Pressestimmen
taz, 18. 7. 2010 (Ulrich Gutmair)
“Die Stadt sieht aus, als habe eben noch Krieg geherrscht, ganze Häuserzeilen ausradiert von Hitlers Wunderwaffen. An den Straßenecken türmen sich Unrat und Müll. […] Seine Serie von Schwarzweißfotos des menschenleeren London hat der Kulturkritiker Jon Savage 1977 aufgenommen.
Savages Fotos innerstädtischer Viertel, die von Spekulanten dem Verfall preisgegeben worden sind, bilden das Entrée zur Ausstellung “Goodbye London, Radical Art and Politics in the Seventies” in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin Kreuzberg. Die Siebziger, das zeigt sich hier einmal mehr, waren nicht nur die wahren Sixties. Die Siebziger waren für die neue, jetzt anbrechende postfordistische und flexibilisierte, individualistische und liberale Ära das, was die Zwanziger für die Hochmoderne gewesen waren: ein Labor neuer Lebensentwürfe, Arbeitsweisen und Selbstbilder.”
Veranstaltungen:
Termine ( Veranstaltungen in englischer Sprache )
Dienstag, 20. Juli, 21 Uhr: Night screening I
Nightcleaners, ein Film des Berwick Street Film Collective.
Einführung: Prof. Dr. Claudia Gather, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin
Dienstag, 27. Juli, 21 Uhr: Night screening II
Nighthawks, Regie: Ron Peck, Spielfilm von 1978,
Ron Peck ist anwesend. Einführung: Wieland Speck, Leiter der Sektion Panorama der Berlinale
Dienstag, 3. August, 19 Uhr: Gallery Talk
Strategies for the street. The work of art after the age of mechanical reproduction
mit Peter Kennard, Klaus Staeck, Sylvia Stevens, Nick Wates und Peter Cross (Arbeitsgruppe Goodbye London)
Donnerstag, 5. August, 19 Uhr: Künstlergespräch
Radical Art Practice
Margaret Harrison und Astrid Proll (Arbeitsgruppe Goodbye London) im Gespräch