Twister

26. Februar–30. April 2022

Ausstellung
Veranstaltungsreihe

Ort(e):
nGbK, Oranienstraße 25, 10999 Berlin
station urbaner kulturen, Auerbacher Ring 41, 12619 Berlin

Künstler_innen

Mouna Abo Assali, Mehtap Baydu, Silvina Der-Meguerditchian, Christina Dimitriadis, Ece Gökalp, FUNKE Kollektiv, Edona Kryeziu, Eleni Mouzourou, Ceren Oykut, Viron Erol Vert

Teilnehmer_innen

Humam Alsalim, Marwa Arsanios, Tekla Aslanishvili, Khaled Barakeh, BoB, Eliane Esther Bots, Aylin Kuryel, Amina Maher, Birgit Auf der Lauer & Caspar Pauli, Pejvak, Adnan Softić, A.G.A Trio, Florian Wüst, Nadin Reschke & Seçil Yersel, Zacharias Zitouni

Arbeitsgruppe

Berk Asal, Selda Asal, Emre Birişmen, Erden Kosova, Melih Sarıgöl

Das Projekt Twister findet an beiden nGbK-Standorten statt und setzt sich zusammen aus einer Ausstellung und Panels in der Oranienstraße, einer Installation und Workshops in der nGbK Hellersdorf sowie einem Katalog. Im Sinne von sowohl politischen Wirbelstürmen als auch von der Absurdität nationalistischer Ansprüche auf Geografie und Natur erprobt Twister, wie diasporische Gemeinschaften aus verschiedenen Ländern interagieren und zusammenarbeiten können.
Die Fensterausstellung fand vom 1. –13. März 2022 in der station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf statt.

In erster Linie bezeichnend für zerstörerische Stürme, steht Twister übertragen auf die weltpolitische Gegenwart für eine Reihe jüngst wieder aufkeimender nationalistischer Aggressionen und autoritärer Tendenzen um und hinter den östlichen Randgebieten Europas. Scheinbar langwierige Streitigkeiten über die Kontrolle von Grenzen, Ressourcen und Gebietsansprüchen am Mittelmeer und Schwarzen Meer führen zu einem Wiederaufleben nationalistischer Diskurse und zu neuen Allianzen auf der Suche nach regionaler Vormachtstellung. Einer der Nebeneffekte dieser politischen Regression ist, dass lokale Kritik immer schärfer verfolgt wird, was wiederum zu einer Abwanderung vieler Regimekritiker_innen in Richtung westeuropäischer Metropolen führt – eine davon ist Berlin.

Eines der Themen, die in den für die Ausstellung ausgewählten Arbeiten zum Ausdruck kommen, ist der willkürliche Charakter politischer Darstellungen von Geografie und Natur. Christina Dimitriadis (geb. 1967, Thessaloniki/Griechenland) setzt sich in ihrer fotografischen Arbeit mit den Konnotationen des Ägäischen Meeres auseinander. Der Titel ihres Projekts Island Hoping ist ein Wortspiel, bei dem ein Konsonant von hopping entfernt wird und so zu hoping wird. Dieser Titel widerspricht dem gängigen Bild und Narrativ von der Ägäis als idealem Reiseziel und spielt auf die Tatsache an, dass sie ein meist unerreichbares und tödliches Ziel für Migrant_innen ist, die versuchen, den europäischen Kontinent zu erreichen. In ähnlicher Weise von der Irrelevanz politischer Grenzen angesichts einer ganzheitlichen Natur ausgehend, beschäftigt sich Ece Gökalps (geb. 1988, İstanbul/Türkei) fotografischer Essay ‘A Mountain As Many’ mit dem mythischen Berg Ararat. Mit Fernaufnahmen des Berges aus zwei Nachbarländern (Türkei und Armenien) kartiert Gökalps umfangreiche Arbeit die kulturellen Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten der unterschiedlichen Erzählperspektiven. Die offizielle Ernennung der „Latzia“, einer auf Zypern vorkommenden Eichenart, zum Nationalbaum der Insel bildet den Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt Searching for the „national plant“ von Eleni Mouzourou, (geb. 1983, Lefkosia/Zypern) das die Konstruktion des Begriffs “einheimisch” untersucht und problematisiert. Die Künstlerin hinterfragt in ihrem Werk die Art und Weise, in der die Natur durch eine Politik der kulturellen und nationalen Identität vereinnahmt wird.

Twister, im Sinne von politischen Wirbelstürmen und die durch sie hinterlassene Zerstörung, sind ein weiteres wichtiges Thema der Ausstellung. In Silvina Der-Meguerditchians (geb. 1967, Buenos Aires/Argentina) Installation The Silence of Stones erinnern lange rote Wollfäden, die aus dunklen Felsen hervorquellen und sich über den Boden des Ausstellungsraums ziehen, an das nicht enden wollende Blutvergießen als Ergebnis von Konflikten, die auf ethnischen und religiösen Feindseligkeiten und der Zerstörung des kulturellen Erbes beruhen. Die tragischen Ereignisse in Nagorno-Karabakh im vergangenen Jahr sind nur eines von vielen Beispielen. Das FUNKE Kollektiv (Selda Asal, Emre Birişmen, Melih Sarıgöl und Seçil Yersel) wendet sich der Unkontrollierbarkeit der aktuellen politischen Dynamik zu. Der in einem fiktiven Kontrollraum platzierte ventilator table (‚Ventilatortisch‘) wird auf die aktuellen geopolitischen Konflikte verweisen und eine fragmentarische und fließende Gegenerzählung liefern. Edona Kryezius ( geb. 1994, Saarlouis/Deutschland) Videoarbeit Greetings from Elsewhere greift den Ansatz der Diaspora auf, indem sie die physische Entfernung von der Heimat und die zugleich stattfindende mentale und emotionale Bindung an sie thematisiert. Der Film umfasst selbsterstellte Aufnahmen von Videobändern. Diese wurden in Zeiten größter politischer Spannungen und dem Krieg in den 1990ern von eigenen und erweiterten Familienmitgliedern der Künstlerin aus Deutschland und dem Kosovo füreinander erstellt und ausgetauscht. Einige von ihnen sind in europäische Länder ausgewandert, andere hingegen sind im jeweiligen Herkunftsort geblieben. Mehtap Baydus (geb. 1972, Bingöl/Türkei) skulpturale Arbeit Suitcase Bread thematisiert die wirtschaftlichen Bedingungen, die Menschen dazu zwingen, ihr Herkunftsland zu verlassen. Es ist eine immer wiederkehrende Geschichte der Bewegung, die von der Arbeitsmigration in westeuropäische Länder mit wachsender Wirtschaft in der Nachkriegszeit bis zu den jüngsten Wellen des „Brain-Drain“, der anhaltenden Abwanderung von Fachkräften aus geografischen Peripherien, sowie dem verzweifelten Exodus aus Ländern reicht, die aufgrund von repressiven Regimen und Bürgerkriegen zerfallen.

Viron Erol Vert (geb. 1975, Varel-Oldenburg/Deutschland) verwendet in seiner Wandinstallation Ménage à Trois die klappbaren Reisespiegel, die vor allem bei langen Zug- oder Schiffsreisen Verwendung finden. Die drei Spiegelflächen und die darauf eingravierten Worte spielen auf die psychologische Spaltung an, die in der eigenen Subjektivität auftritt, wenn man zwischen zwei weit entfernten Orten reist, und in den meisten Fällen von einem Ort zum anderen zieht und anschließend das Dazwischen als Geisteszustand weiterlebt.
Der Animationsfilm Map of Neither von Ceren Oykut (geb. 1978, İstanbul/Türkei), die auf den Besonderheiten ihrer früheren zeichnerischen Praxis beruht, spiegelt die Ambivalenzen im Leben der Künstlerin wider. Aus der kulturellen Schicht Istanbuls in einem fremden Land gelandet, unsicher, ob sie bleiben darf, sich aber gleichzeitig mit keiner der offiziellen Kategorien oder populären Definitionen identifiziert, die den Vertriebenen zugeschrieben werden. Mouna Assalis (geb. 1988, Damaskus/Syrien) Film Mnemonic spürt den physiologischen, emotionalen, sozialen und kognitiven Auswirkungen des anhaltenden Zivilkonflikts in Syrien nach, insbesondere denen, die den Menschen durch die auditiven Gewalteinwirkungen der Kriegsführung zugefügt werden. Es stellt sich hierdurch auch die Frage, wie diese Erinnerungen im Körper fortbestehen, selbst nachdem man an weit entfernte Orte gezogen ist.

Ein Ausstellungsprojekt an beiden nGbK-Standorten
Die Ausstellung findet hauptsächlich in der Oranienstraße statt und in kleinerem Rahmen in Hellersdorf, wo zwei Monitore an den Schaufenstern der station urbaner kulturen Einblicke in die Ausstellung in der Oranienstraße geben. Das erste Video ist eine Zusammenstellung von Bildern aus den ausgestellten Werken, während das zweite Videoausschnitte aus dem Beitrag des FUNKE-Kollektivs zur Ausstellung zeigt. Viele der präsentierten Arbeiten bieten poetische und minimalistische Kommentare zu nationalistischer Kurzsichtigkeit, Vertreibung und der Erfahrung, im Exil zu sein; jedoch erfordern die angesprochenen Probleme eine tiefer gehende Auseinandersetzung. Letzteres wird durch das Begleitprogramm ermöglicht.

So betrachtet will Twister auch als Akt des Eingreifens verstanden werden: Ein Versuch, die Kontroversen unserer Zeit mittels Kunst aufzuzeigen und zu ändern.

Termine:

Freitag, 25. Februar 2022, ab 14 Uhr
nGbK-Ausstellungsraum
Soft Opening & stündliche Führungen mit den Kurator_innen (de/en)

Führungen
nGbK-Ausstellungsraum

Samstag, 5. März 2022, 18 Uhr
mit Selda Asal (en)
Samstag, 12. März 2022, 18 Uhr
mit Erden Kosova (de)
Samstag, 19. März 2022, 18 Uhr
mit Berk Asal (en)
Samstag, 26. März 2022, 18 Uhr
mit Emre Birişmen (en)
Samstag, 16. März 2022 18 Uhr
mit Erden Kosova (de)
Samstag, 23. April 2022, 18 Uhr
mit Melih Sarıgöl (en)

Filmscreenings kuratiert von Florian Wüst
nGbK-Veranstaltungsraum + Livestream

Die beiden Kurzfilmprogramme spiegeln die vielfältigen Spuren wider, die Europa, die Türkei und den Südkaukasus durchziehen und miteinander verbinden – von der Geschichte politischer Gewalt und erzwungener Migration bis hin zur Zukunft neuer globaler Infrastrukturen im Gegensatz zu regionalem ökologischem Wissen.

Freitag, 15. März 2022, 19 Uhr
Filmscreening „Memories of Displacement“ (OmU>en) und anschließendes Gespräch mit Adnan Softić (en)

Schiffe mit Waren und Stoffen aus aller Welt stoßen mit ihren Wellen die Bibby Challenge an, Adnan Softić, DE 2020, 12’
In Flow of Words, Eliane Esther Bots, NL 2021, 22’
first in first out, Zacharias Zitouni, DE/DZ 2019, 26’
A Defense, Aylin Kuryel, TR/NL 2021, 16’

Freitag, 22. März 2022, 19 Uhr
Filmscreening „Deep Landscape“ (OmU>en) und anschließendes Gespräch mit Tekla Aslanishvili (en)

A Passage, Pejvak, CA/AM 2019, 17’
Scenes from Trial and Error, Tekla Aslanishvili, DE/GE 2020, 30’
Who is afraid of ideology? Part I, Marwa Arsanios, LB 2017, 18’

Freitag, 1. April 2022, 19 Uhr
nGbK-Ausstellungsraum + Livestream
Konzert von A.G.A Trio

Das A.G.A Trio besteht aus Deniz Mahir Kartal, Mikail Yakut und Arsen Petrosyan, die aus der Türkei, Georgien bzw. Armenien stammen. Durch das meisterhafte Spiel der drei verwandten Instrumente – Kaval, Duduk und Akkordeon – schafft das A.G.A Trio eine Harmonie, die die melodische Fülle und das breite Spektrum an Klangfarben freilegt, die zwischen den Passagen widerhallen, die die drei Nachbarn überbrücken. Die Virtuosen vereinen Volksmärchen, Liebeslieder von Barden, Klagen über Gefallene, Respekt vor der Natur und schließlich die Begegnung von Menschen und deren Zusammenleben.

Mittwoch, 13. April 2022, 19 Uhr
Veranstaltungsraum, 1. OG + Livestream
Diskussion mit Humam Alsalim, Khaled Barakeh und Amina Maher (en)

19 Uhr: Online Networks for Artists from Syria: A conversation with Humam Alsalim and Khaled Barakeh, moderiert von Erden Kosova

20:15 Uhr: Healing through the Screen: A conversation with Amina Maher and screening of her film, ‘’Letter to my Mother’‘ (2019, 19 min), moderiert von Şirin Fulya Erensoy

Die erste der beiden Diskussionsrunden wird sich mit den Solidaritätsstrukturen befassen, die von Künstler_innen im Exil aufgebaut wurden. Die Podiumsteilnehmer_innen werden über die praktischen Herausforderungen sprechen, die mit der Ausstellung von Kunst und dem Anschluss an lokale Netzwerke in einem neu angekommenen Land verbunden sind, und ihre eigenen Erfahrungen beim Aufbau kollektiver Plattformen darlegen.

In der zweiten Diskussionsrunde sind in Berlin lebende LGBTQI+-Künstler_innen zu Gast, die zuvor die Unterdrückung und Zensur durch autoritäre Regime, die sich gegen nicht-normative Geschlechter und Sexualitäten richten, erlebt haben. Die Künstler_innen werden mit dem Publikum darüber sprechen, wie sie künstlerischen Ausdruck einsetzen, um normative Diskurse zu überwinden und wie Kreativität als eine Form des Überlebens dienen kann, wodurch Hoffnung auf echte und dauerhafte Veränderungen geschöpft wird.

Das Panel wird in Zusammenarbeit mit der von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa geförderten Veranstaltungsreihe Chromatic Wednesdays organisiert.

Samstag, 30. April, 18 Uhr
nGbK-Ausstellungsraum + Livestream
Finissage und Performance „Black on Black“ mit Ceren Oykut & FezayaFirar

„Black on Black“ ist eine audiovisuelle Performanceserie, die aus Live-Zeichnungen besteht, die von elektronischer Live-Musik begleitet werden. Die überraschenden, archaischen, ungebändigten Linien von Ceren Oykut, die Geschichten von urbaner Transformation, Sprache und Lebewesen erzählen, werden von FezayaFirars live synthetisierten Sci-Fi-Klangwellen begleitet.

Workshops in der station urbaner kulturen
Eine beträchtliche Anzahl von Bewohner_innen des Berliner Stadtteils Hellersdorf, in dem sich die station urbaner kulturen befindet, hat eine Migrationserfahrung gemacht. Die meisten von ihnen haben ihre Heimatländer aufgrund politischer und wirtschaftlicher Notlagen in der Vergangenheit verlassen, so dass ihre Erfahrungen einen wertvollen Einblick in den thematischen Rahmen der Twister-Ausstellung gewähren.
Zwei separate Workshops, die von den Künstler_innen Birgit Auf der Lauer & Caspar Pauli und Nadine Reschke & Seçil Yersel gestaltet werden, nehmen Bezug auf die Hauptausstellung und werden von den Nachbar_innen der Station urbaner kulturen und dem Publikum der nGbK besucht.

Samstag, 5. März & Sonntag, 6. März, 14-17 Uhr
„Freude - eine Untersuchung“ mit Birgit Auf der Lauer & Caspar Pauli
(de/en)

Was sind unsere inneren Ressourcen, wenn wir schwere Zeiten durchmachen? Vielleicht verlieren wir sie aus den Augen, aber ohne sie würden wir wahrscheinlich nicht überleben. In diesem Zusammenhang spielt die Freude eine große Rolle.

Dieser Workshop lädt ein, ein Wochenende lang Erinnerungsarbeit zu leisten und in freudige Momente einzutauchen. Die Teilnehmer_innen arbeiten mit ihrer Aufmerksamkeit, ihren Sinnen und ihrem Körper, um verschiedene Erinnerungen an Freude abzurufen und zu erforschen und sich darauf zu besinnen, wie sich dies im Moment anfühlt.

Ein zweiter Teil des Workshops dreht sich um die Frage, wie man diese schwer fassbare Erfahrung greifbarer machen kann. Mit Pigmenttinte und Papier werden die Teilnehmer_innen Farbstudien gestalten, die mit den verschiedenen Nuancen der Freude aus ihren Erinnerungen korrelieren. Die Studien werden vervielfältigt, kombiniert und ausgetauscht und bilden die Seiten eines gemeinsamen Buches. Der flüchtige Moment der Freude wird so konkreter, sofort abrufbar und greifbar.

Samstag, 12. März & Sonntag, 13. März, 13-16 Uhr
„Come As You Are“ mit Nadin Reschke & Seçil Yersel
(de/en)

Wie verändert das, was ich trage, das, was ich sehe und erlebe? Die Künstlerinnen Nadin Reschke und Seçil Yersel laden Hellersdorfer_innen ein, mit Hilfe von Stoffen und eigens für den Workshop entworfenen Kleidern und Requisiten ihren Bezirk anders zu entdecken und sich in dieser Umgebung zu inszenieren.

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