16.–17. August 2014
Künstler_innen
Im August 2013 verstarb Allan Sekula im Alter von 62 Jahren an Krebs. Wir haben einen der vielschichtigsten und avanciertesten Vertreter politischer Kunst, einen guten Bekannten und dennoch weithin Unbekannten, verloren.
Allan Sekula wäre ein geradezu prototypischer Künstler der nGbK: politisch und ästhetisch engagiert, global orientiert, weltweit vernetzt und kunsthistorisch ungemein bewandert, zugleich ein schreibender, bildender, konzeptuell agierender Künstler. Wäre – weil er nicht mehr hier ist, aber auch, weil die nGbK, weil wir ihn in diesem Rahmen bislang nahezu sträflich vernachlässigt haben. Die Nachricht von seinem Tod allerdings hat sogleich einen Schock ausgelöst, und ohne weitere Fragen uns motiviert, hier Abhilfe zu schaffen mit einem Überblick seiner Filme, mit Gesprächen über seine Arbeiten, mit Einblicken in seine diversen Arbeitsformate sowie Zeugnisse seines großen Einflusses auf Kolleg_innen.
Allan Sekula war Fotograf und Konzeptkünstler, Lehrer und Kunsttheoretiker, der sich in seinen Arbeiten - geprägt von der Anti-Vietnam-Bewegung seit den 1970er Jahren - mit kapitalismuskritischen Themen auseinander gesetzt hat. Wegweisend war auch seine Arbeit im Bereich der Lehre, der Fototheorie und dem damit verbundenen Realismusdiskurs. In seinem bereits 1978 erschienenen Aufsatz „Den Modernismus demontieren, das Dokumentarische neu erfinden. Bemerkungen zur Politik der Repräsentation“ sprach sich Sekula für eine neue kritische sozialdokumentarische Praxis aus.
Die wohl bekannteste Arbeit Allan Sekulas ist der 1995 erstmals im Rotterdamer Witte de With gezeigte Fotokomplex „Fish Story“. Sie wurde einem großen Publikum später noch einmal auf der Documenta11 präsentiert und wirft Fragen nach einer zeitgenössischen „Ikonografie von Arbeit“ in Zeiten der Globalisierung auf. „Fish Story“ ist vor dem Hintergrund einer politischen und ökonomischen Neuordnung der Welt als fotografische Feldforschung in einem Zeitraum von sechs Jahren entstanden. „Fish Story“ ist aber auch eine Arbeit über die Repräsentation der Fotografie, dezidiert der Dokumentarfotografie im Kunstbetrieb. Das Meer und der Hafen tauchen in Sekulas Arbeit immer wieder als Metaphern für wichtige Schnittstellen einer sich ändernden globalen Ökonomie auf. So auch in der Arbeit „Titanic’s Wake“ (1998–2000) oder in dem gemeinsam mit Noel Burch realisierten Filmessay „The Forgotten Space“ (2010).
Arbeit und Arbeiter_innen waren in seinen Arbeiten stets präsent, gerade da sich Arbeit nicht auflöst, sondern global verlagert und tendenziell unsichtbar (gemacht) wird. Die Maschinen im automatisierten Hafen vor Rotterdam haben keine Augen mehr, sondern fahren kameragesteuert durch das riesige Gelände, um die Fracht zu bergen. Der Kameramann muss bei seiner einsamen Arbeit dort aufpassen, nicht von den robotisierten Kranwägen überfahren zu werden. Am anderen Ende der Produktionskette wiederum achten die Firmen darauf, dass die ausbeuterische Produktion und die dagegen protestierenden Arbeiter_innen möglichst nicht ins Bild kommen. Allan Sekula reflektierte gleichermaßen die Bildproduktion von Arbeit in Sozial- und Kunstgeschichte. Er hat dabei immer auch die Nähe zu Gewerkschaften gesucht und war selber Aktivist. So wurde „Fish Story“ beispielsweise während des WTO-Gipfels 1999 in Seattle gezeigt; Hafenarbeiter führten dabei durch die Ausstellung. Während des G8-Gipfels in Heiligendamm war Sekula wiederum mit in der Posterserie „Holy Damn it“ präsent.
Allan war ein vielfach geschätzter „Artist’s Artist“ und belesener Autor. Wir sehen große Überschneidungen in der Praxis und Haltung von Sekula und der nGbK. Daher möchten wir an einem langen Wochenende sein filmisches Werk im Ausstellungsraum der nGbK präsentieren. Denn insbesondere seine frühen Videoarbeiten sind hier weitgehend unbekannt. Ergänzt werden sollen diese Präsentationen durch die Heiligendamm-Posterserie, Publikationen, möglicherweise Sekulas Dia-Serien, etc.
Zudem wollen wir Personen einladen, die ihn kannten, die mit ihm gearbeitet haben oder die durch ihn und seine Arbeit beeinflusst wurden. Über Kurzstatements, Anekdoten, Analysen, Performances oder andere Arten von Beiträgen wollen wir ins Gespräch kommen und die vielfältigen Facetten Allan Sekulas erfahrbar machen. Mit jenen persönlichen Sichtweisen möchten wir gedenken und zugleich sein aktives Werk würdigen: Working with Allan Sekula.
Organisation (Vereinsinitiative) der NGBK: Jochen Becker, Elke Falat, Branka Pavlovic, Renate Wöhrer, Florian Wüst
Veranstaltungen:
Samstag 16 August 2014, 15.30 - 22 Uhr,
Gäste / Statements
Begrüßung: Karin Rebbert (Geschäftsführerin nGbK)
Einführung: Team „Working with Allan Sekula”
Gäste:
Aneta Szylak (Leiterin/Director Wyspa, Gdanks) /skype/tbc
Bankleer (Karin Kasböck / Christoph Leitner, KünstlerInnen, Berlin/Köln)
Brigitte Werneburg (Kulturredakteurin/journalist, taz, Berlin)
Christine Würmell / Michael Baers (Künstler, Berlin)
Jeremiah Day (Künstler, Berlin)
Dierk Schmidt (Künstler, Berlin)
Fred Lonidier (Künstler, University of California San Diego) /skype
Gerd Elsner (Fotograf, Stuttgart)
Hartmut Bitomsky (Filmemacher, Berlin)
Hemma Schmutz (Kunsthistorikerin & Kuratorin, Wien)
Ina Steiner (Fotografin, ehem. Assistentin von Allan Sekula, Berlin)
Iris Dressler / Hans D. Christ (LeiterInnen Württembergischer Kunstverein Stuttgart) /tbc
Marie Muraccuiole (Leiterin Beirut Art Center, Beirut/Paris)
Mario Pfeifer (Künstler, Berlin) /skype
Monica Bonvicini (Künstlerin, Berlin)
Roger Buergel (Leiter Johann Jacobs Museum, Zürich) /letter
Ruth Noack (Kuratorin, Berlin) /letter
Stefan Römer (Künstler, Berlin)
Sonntag 17 August 2014, 12-19 Uhr,
Filme
Screen 1 (mit kurzen Einführungen):
12.00 Performance under Working Conditions, 1973, 20 min
12.30 Talk Given by Mr. Fred Lux at the Lux Clock Manufacturing Company Plant in Lebanon, Tennessee, on Wednesday, September 15, 1954, 1974, 25 min
13.00 The Reagan Tapes, 1984, 10 min (with Nöel Burch)
13.15 Tsukiji, 2001, 43 min
14.00 Disney Hall Gala, 2005, 24 min
14.30 The Lottery of the Sea, Part 1 & 2, 2006, 179 min
17.00 A Short Film for Laos, 2007, 45 min
18.45 Art isn’t Fair, 2012, 6 min
(Filme: Courtesy of the estate of the artist and Michel Rein, Paris/Brussels)
Screen 2:
The Forgotten Space, 2010, 112 min (with Nöel Burch)
(friendly supported by Doc.Eye Film, Amsterdam)
Filme:
Performance under Working Conditions, 1973, 20 min
Talk Given by Mr. Fred Lux at the Lux Clock Manufacturing Company Plant in Lebanon, Tennessee, on Wednesday, September 15, 1954, 1974, 25 min
The Reagan Tapes, 1984, 10 min (with Nöel Burch)
Tsukiji, 2001, 43 min
Disney Hall Gala, 2005, 24 min
The Lottery of the Sea, Part 1 & 2, 2006, 179 min
A Short Film for Laos, 2007, 45 min
Art isn’t Fair, 2012, 6 min
(Filme: Courtesy of the estate of the artist and Michel Rein, Paris/Brussels)
sowie
The Forgotten Space, 2010, 112 min (with Nöel Burch)
(friendly supported by Doc.Eye Film, Amsterdam)
Sichtungsstationen:
Die genannten Filme von Allan Sekula sind am Samstag & Sonntag zudem auf sechs Sichtungsstationen einsehbar. Zusätzlich zeigen wir hier:
Gespräch zwischen Allan Sekula und Stefan Römer, Allans Studio in Los Angeles, 7.10.2004, Footage für den Film: Conceptual Paradise, 2006,
ca. 85 min
Allan Sekula Memorial, October 5, 2013 at REDCAT, Los Angeles, 256 min