1-0-1 [one ‘o one] intersex

Das Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung

18. Juni–31. Juli 2005
Eröffnung: 17. Juni 2005

Ausstellung
Publikation
Veranstaltungsreihe

Archiv

Ort(e):
NGBK, Oranienstraße 25

www.101intersex.de

Künstler_innen

Del LaGrace Volcano, Ins A Kromminga, Roz Mortimer, Tyyne Claudia Pollmann, Eli seMbessakwini, subRosa & James Pei-Muun Tsang, Terre Thaemlitz

Arbeitsgruppe

Ulrike Klöppel, Wijnand Koppelmann, Ins A Kromminga, Nanna Lüth, Rett Rossi, Karen Scheper de Aguirre

1-0-1 [one ‘o one] intersex” thematisiert die Verletzung der Menschenrechte von Zwittern/Hermaphroditen/Intersexuellen: Immer noch werden Kleinkinder, deren Genitalien als “uneindeutig” bezeichnet werden, chirurgisch an Normvorstellungen von männlichen und weiblichen Körpern angepasst. Intersexualitätsdiagnosen werden selbst im Erwachsenenalter regelmäßig verschwiegen. Die gesellschaftliche Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt, die nicht den normativen Erwartungen einer eindeutigen Unterscheidbarkeit nach zwei Geschlechtern entspricht, ist gering. 1-0-1 intersex fordert zum Weiterdenken quer zum Zwei-Geschlechter-System auf: Ausstellung, Archiv, Veranstaltungsreihe und ein umfangreicher Katalog präsentieren künstlerische Positionen, Erfahrungen und Initiativen intersexueller Menschen, historische, wissenschaftskritische und rechtliche Hintergründe, um eine breite Auseinandersetzung über die Geschlechtergrenzen und den Umgang mit Intersexualität in unserer Gesellschaft anzustoßen.

Die künstlerischen Beiträge der Ausstellung setzen sich kritisch mit den vorherrschenden Darstellungen von Geschlecht als normativer Zweigeschlechtlichkeit auseinander. Angesichts der zentralen Rolle bildgebender Verfahren in der Medizin und Biotechnologie erhalten visuelle Arbeiten, die solche Bildsprachen reflektieren, eine neue politische Brisanz. Das cyberfeministische Kollektiv subRosa – in Kooperation mit James Pei-Mun Tsang – thematisiert mit der ‘Aufklärungs’-Show ‘Yes species’ die Auswirkungen der neuen Reproduktionstechniken auf Sexualität und Geschlechterrollen: Ihre Agitation für eine Vervielfältigung ‘nutzloser’ Geschlechter macht der kapitalistischen Ökonomie des Zwei-Geschlechter-Systems einen Strich durch die Rechnung. Das provokative Video ‘Born Queer - dear doctors’ zeigt eine von schwarzen Bildsequenzen unterbrochene Sexszene, zu der die Künstlerin Eli seMbessakwini einen bissigen Liebesbrief an die Ärzte, die sie als Kind kastrierten, einspricht. Ihre Arbeit zielt auf die Rückeroberung der eigenen Sexualität. Ins A Krommingas Installation um den Schriftzug ‘Zwitter’ – aus Spiegelscherben, die die Brüchigkeit geschlechtlicher Identität materialisieren – setzt zu einer Neuschreibung der Zwitter-Geschichte an. Terre Thaemlitz’ Beitrag ‘Lovebomb’ nimmt die Bemäntelung gewaltvoller Situationen durch den Begriff der ‘Liebe’ – passend zur Erfahrung vieler intersexueller Menschen mit den ‘liebevollen’ Argumenten ihrer Eltern für chirurgische Geschlechtsanpassungen – in 16 Audio- und Videostücken auseinander. In der Ausstellung werden darüber hinaus Beiträge der Künstler_Innen Roz Mortimer, Tyyne Claudia Pollmann und Del LaGrace Volcano gezeigt.

1-0-1 intersex geht der Frage nach, auf welche Weise geschlechtliche Normvorstellungen entstehen, die den alltäglichen Umgang in unserer Gesellschaft regulieren. Das Projekt problematisiert, wie in Abgrenzung gegen Menschen ‘uneindeutigen Geschlechts’ normative Körperkonzepte entwickelt und durch die Unsichtbarmachung körperlicher Vielfalt aufrecht erhalten werden – Verletzungen der körperlichen Integrität und der Würde intersexueller Menschen werden dafür in Kauf genommen. 1-0-1 intersex macht zum Thema, warum Intersexualität uns alle angeht, und lädt dazu ein, über mögliche Veränderungen nachzudenken.

Pressestimmen

lz3w, 10/2004 (Nanna Lüth)
“Zentrales Anliegen von 1-0-1 intersex ist einerseits, die historische, geografische und kulturelle Bedingtheit des Begriffs und des Umgangs mit ‘Zwischengeschlechtlichkeit’ deutlich zu machen, und andererseits deren Veränderlichkeit aufzuzeigen. […] Es geht darum, ‘der hegemonialen Definitionsmacht der Naturwissenschaften etwas entgegenzusetzen. Zentrale Themen sind: Das duale Geschlechterregime der deutschen Sprache, rigide Alltagsordnungen (Toilettenschilder), soziale Probleme (z.B. bei der Arbeitsplatzsuche), kulturelle Differenzen und mythische Hintergründe (die Geschichte der ‘Monster’ und der ‘Hybriden’).”

Spiegel Online, 20.06.2005 (Johanna Straub)
“Mit einer Ausstellung und einer Veranstaltungsreihe laden Künstler und Künstlerinnen in Berlin zu einem öffentlichen Polylog ein. Es geht um die medizinische Erfindung der Geschlechterzugehörigkeit und den gesellschaftlichen Umgang mit Intersexualität.”

taz, 29.06.2005 (Christiane Rösinger)
“Die Strategie der ausstellenden Künstler und Künstlerinnen in der NGBK, die teilweise auch als Intersexaktivistinnen an den Veranstaltungen des Rahmenprogramms beteiligt sind, ist das Sichtbarmachen von Uneindeutigem: Vielfalt zulassen, könnte ein Ausweg sein aus der binärgeschlechtlichen Ödnis.”

Stuttgarter Zeitung, 16.07.2005 (Adrienne Braun)
“Die Ausstellung wagt sich an ein Thema, ‘das bisher kaum Öffentlichkeit hatte und mit enormen Ängsten behaftet ist.’ […] Betrachtet man die seit Jahren geführte Diskussion, ob Frauen nun eher mit männlichen oder weiblichen Eigenschaften an die Macht gekommen sind, ob Margaret Thatcher oder Angela Merkel es nur an die Spitze gebracht haben, weil sie ihre Weiblichkeit verleugnen, so sieht man, wie hilflos sich unsere Gesellschaft immer noch an diese Geschlechtszuweisungen klammert. […] Das binäre System lässt sich in der Mode vielleicht durchhalten, in der Realität aber wird unserer Gesellschaft sich zunehmend verabschieden müssen von undifferenzierten Stereotypen. Wer weiß, ob der Mensch von morgen zwar nicht intersexuell ist, aber intersexuell fühlen wird.”

gynäkologie + geburtshilfe, 1/2008 (Thomas Miesbach)
“1-0-1 intersex befriedigte nicht die Schaulust, wie man das reißerisch tun könnte à la: Boah, die zeigen echte Hermaphroditen! Es ging vielmehr um Aufklärung, Akzeptanz, Aktivierung, Agitation.”

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