17. Januar–12. Februar 1975
Künstler_innen
Arbeitsgruppe RealismusStudio
Valdis J. Āboliņš, Tina Bauermeister, Hortense von Heppe, Dieter Masuhr, Bernd Weyergraf
Diskussion mit Vlassis Caniaris am 5.2. in den Räumen der NGBK, Hardenbergstraße 9
Übernahmen nach Kunstverein Heidelberg (Februar-März 1975) und Museum Bochum (Juni-Juli 1975).
Aus der Publikation:
Der mit dem schönfärbenden Titel ‘Gastarbeiter’ etikettierte Mensch wird in zwei unterschiedliche Wesen gespalten, in ein privates, als das er, wenn er nicht gerade arbeitet, zusehen muß, wo er bleibt, und ein öffentliches, das keine Rechte zu beanspruchen hat und deshalb faktisch auch nicht vorhanden sein darf. Die Privatsphäre, in der auch diese Menschen essen, sich kleiden und um eine Unterkunft sich kümmern müssen, wird von Vlassis Caniaris dargestellt: als Stationen und Situationen der Heimatlosigkeit, Unbehaustheit und Angst. Ihre Existenz wird aus den Resten und Spuren erschlossen, wie sie auch die bedürftigste Lebensweise hinterläßt. Dabei erinnert die Arbeitsweise des Künstlers an die eines Archäologen, der aus einigen verstreuten Überresten einer zerstörten Kultur ein Bild des Lebens vermitteln soll, das sie getragen hat.
Pressestimmen
Der Spiegel Nr. 6, 03.02.1975
“Der griechische Bildhauer Caniaris, der 1969 mit seinen Symbol-Skulpturen die Athener Obristen provozierte, zeigt in Berlin ‘poetische’ Politkunst zum Thema Gastarbeiter. Arbeiter haben kaum Chancen, die Ausstellung zu sehen. […]
Mit einem vergleichbaren Ansturm kann Caniaris in Berlin nicht rechnen. Gerade das zunächst betroffene Publikum ist durch die grotesken Öffnungszeiten im (Senats-)Galeriehaus praktisch ausgesperrt. Die Ausstellung wird in der Woche um 18 Uhr, samstags um 13 Uhr geschlossen und macht am Sonntag erst gar nicht auf. Caniaris hofft jetzt, auf den weiteren Schau-Stationen, in Heidelberg und Bochum, seine Gast-Arbeit auch Arbeitern zeigen zu können.”
Der Abend, 18.01.1975 (Peter Hans Göpfert)
“VLASSIS CANIARIS ENTLARVT mit seinen zahlreichen Environments, die hier zu sehen sind, den Terminus ‘Gast’-Arbeiter als euphemistische Kosmetik. Denn wer als Itaker, Müll-Türke oder Asphaltgrieche etikettiert wird, genießt nicht die Privilegien des reisenden Freundes: er bleibt, so sehr dieses Wort der Politiker-Zunge weh tut, ein Fremd-Arbeiter. […]
Aber ob alle diese Environments tatsächlich der Kategorie ‘politische Kunst’ zuzurechnen sind – diese Frage mochte Caniaris in einem Gespräch mit dem ABEND doch nicht eindeutig bejahen: ‘Zuerst ist es, was der Künstler sagen will, und vielleicht kann es auch politische Kunst sein.’ Und auch in die allenthalben offenstehende Realismus-Schublade mag er sich nicht stecken lassen. ‘Ich spreche für Sachen, die meine Umwelt sind. Wenn das Realismus ist, dann bin ich Realist.’“
Deutsches Fernsehen, 23.04.1975 (Manuskript: Marietta Orthofer)
Über die Ausstellung in Ingolstadt:
“Die Intensität der Darstellung läßt spüren, dass Vlassis Caniaris selbst ein Betroffener ist. Er ist Gastarbeiter in Sachen Kunst. Während der Militärdiktatur wurde er aus Griechenland ausgewiesen. Diese Arbeiten entstanden während seines Stipendienaufenthalts in Berlin. Nicht nur die Erwachsenen sind für Caniaris Ausgestoßene, Herumgestoßene, auch die Kinder im Schoß einer entwurzelten Familie sind Opfer der unterprivilegierten Existenz. [..] Das Symbol des Freiheitskampfes aber, die in der ganzen Ausstellung überall wiederkehrende rote Nelke, ragt weit über den vergeblichen Befreiungsversuch seines Ikarus hinaus.”