Vier Jahrzehnte nach der Gründung der neuen Gesellschaft für bildende Kunst ist der Kunstverein alles andere als neu. Die Wortkombination aus neu und Gesellschaft war von Anbeginn nicht als Ausdruck einer Organisationsform gedacht, sondern stellte die Kunst in einen soziologischen Kontext. Der Kunstverein trägt somit einen Namen, der auf seine gesellschaftliche Einbettung verweist und fern eines repräsentativen, marktorientierten und dienstbaren Kunstbegriffs tätig ist.
Ende der 1960er Jahre trafen in der nGbK unterschiedliche politische Strömungen aufeinander. Gemeinsam war ihnen der Anspruch, gesellschaftspolitische Akzente zu setzen, neue Formen des politischen Handelns zu praktizieren und bürgerliche Konventionen in Frage zu stellen.
Die Funktion der bildenden Kunst in der kapitalistischen Gesellschaft wurde untersucht und im Zuge dessen die kanonische (Kunst-)Geschichtsschreibung hinterfragt. Gleichzeitig wurde der Versuch einer alternativen Geschichtsschreibung unternommen.
Im Spannungsfeld von Kunst, Gesellschaft und Politik sowie von bürgerlichem und avantgardistischem Kunstverständnis wurden in der nGbK mehrere historische Ausstellungen realisiert, wie Kunst des Vormärz und Pariser Kommune 1871 (1971) oder Portugiesische Realisten (1977), die aus dem „Erkenntnisinteresse der Zeit der Studentenbewegung [hervorgingen, auf der] Suche nach Epochen, in denen gesellschaftliche Umwälzungen und Emanzipationsprozesse von unten möglich waren.“1
Einen immer wiederkehrenden Referenzpunkt stellte die Weimarer Republik dar. So wurde die Berliner Kunsthalle im Jahr 1977 mit der umfassenden kunst-und kulturgeschichtlichen Schau Wem gehört die Welt? eröffnet, die an jene Epoche und die künstlerischen Praktiken erinnern sollte, welche durch die Zeit des Nationalsozialismus in Vergessenheit geraten waren.
Quer durch alle Genres und gesellschaftlichen Bereiche wurde im Rahmen der Ausstellung die Dichte künstlerischer, politischer und kultureller Formationen präsentiert: Konfrontationen zwischen „links“ und „rechts“, die historische Avantgarde, das Agitproptheater, stadtplanerische und architektonische Reformen sowie die Alltagskultur der Zeit zwischen den Weltkriegen. Mit 7000 verkauften Katalogen und 45.000 Besucher_innen zählt sie bis heute zu den erfolgreichsten Ausstellungen der nGbK.
Während sich die zeitgleich stattfindende Doppelausstellung Tendenzen der Zwanziger Jahre unter der Schirmherrschaft des Europarates einer „bürgerlichen Geschichtsschreibung“ verpflichtete, realisierte die nGbK mit ihrer Ausstellung somit ein Kontrastprogramm.2
Diesem Anspruch blieb der Kunstverein immer wieder treu. In der Publikation zum vierzigjährigen Jubiläum resümiert Leonie Baumann, dass die nGbK den Blick oftmals auf Themen lenkte, die innerhalb der akademischen Institutionen nur wenig Beachtung fanden.3
Insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren schweifte der Blick in die Ferne. Geprägt von einer „Revolutionsbegeisterung – gepaart mit dem späten Frust des Scheiterns von 1968“4 − wurden in der nGbK eine Reihe von Ausstellungsprojekten realisiert, welche sowohl die fortschrittlichen politischen Strömungen als auch die spezifischen Kunstbewegungen und ästhetischen Phänomene der lateinamerikanischen Länder aufgriffen.5
Neben der Behandlung von marginalisierten Themen ging es auch um die Frage einer von nation branding losgelösten Geschichtsschreibung. Am Beispiel zweier Ausstellungen über die Geschichte, Kunst und Kultur der USA, die in den Jahren 1980 und 1983 stattfanden, wurden die Kontroversen und politischen Debatten um (nationale) Geschichtsschreibung deutlich ausgetragen.
Amerika − Traum und Depression widmete sich der Malerei und Fotografie in Zeiten der Weltwirtschaftskrise und des New Deal und hatte sich „während der Jahre der Vorbereitung des ständigen Verdachts zu erwehren, die korrekte politische Linie zu verlassen und sich dem Imperialismus an den Hals zu werfen“6. Darauf folgte die Ausstellung Das andere Amerika, die sich bewusst das Ziel gesetzt hatte, „den womöglich allzu affirmativen Eindruck der ‚Traum und Depression’-Ausstellung zurechtzurücken“7. Die historisch-soziologische Ausstellung setzte sich mit dem Kolonialismus, der Arbeiterbewegung der 1920er Jahre sowie der schwarzen Bürgerrechtsbewegung auseinander und formulierte anhand von 3000 Exponaten den Anspruch, eine „Geschichte von unten“8 zu schreiben.
Die nGbK etablierte sehr früh auch eine Ausstellungspraxis, die sich einem kulturwissenschaftlichen Ansatz verpflichtete, indem sie sich eher auf kulturelle Formationen und Phänomene im gesamtgesellschaftlichen Kontext konzentrierte. Dabei boten sowohl Aspekte der Alltagskultur als auch politische Umwälzungen die Basis, um bestehende Perspektiven zu verschieben und nach gesellschaftlichen Alternativen zu suchen.
Eylem Sengezer, 2015, überarbeitet 2019
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1971 Pariser Kommune in zeitgenössischen Dokumenten, in: 21 – NGBK – was nun?, Berlin 1990, S. 98. ↩
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Vgl. Fritz Raddatz: Kontrast zu „Tendenzen der 20er Jahre“, in: Die Zeit, 9.9.1977, http://www.zeit.de/1977/37/kontrast-zu-tendenzen-der-20er-jahre. Die Ausstellung Tendenzen der Zwanziger Jahre fand in der Orangerie, der Akademie der Künste und der Nationalgalerie statt. ↩
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Vgl. Leonie Baumann, in: NGBK – 40 Jahre, Berlin, 2009. ↩
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Norbert Ahrens: Anmerkungen zur zeitweiligen bundesdeutschen Revolutions-Begeisterung, in: Falsch belichtet. Nicaragua im eurofotografischen Blick. Bildentdeckung, NGBK, Berlin 1991. ↩
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Vgl. Dossier (Neue)Welten. ↩
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Kommentar von Bernhard Schulz, in: 1969−99, NGBK, Berlin 1999. ↩
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Ebd. ↩
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Vgl. Philip S. Foner und Reinhard Schultz: „Das ‚andere’ Amerika“, in: Das andere Amerika. Geschichte, Kunst und Kultur der amerikanischen Arbeiterbewegung, Elefanten Press, Berlin 1983, S. 7−16. ↩