Jugend

Als die erste Nachkriegsgeneration ein jugendliches Alter erreichte, schaffte sie ein Bewusstsein dafür, wie unterschiedliche Lebensphasen die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen beeinflussen. Dabei artikulierte vor allem die Studierendenbewegung der 68er-Generation ein von der politischen Klasse abweichendes Interesse am gesellschaftlichen Miteinander. Die Auseinandersetzung mündete unter anderem in der Politisierung der Pädagogik, die sich auch in der nGbK bemerkbar machte. Schon bei ihrer Gründung formierte sich eine Arbeitsgruppe (AG) zum Thema Kunst und Erziehung, die nicht nur die Rechte von Jugendlichen und Kindern propagierte, sondern auch mögliche Inhalte und Vermittlungsweisen untersuchte. Wendula Dahle widmete sich in ihrem Text Anmerkung zu dem Problem ästhetischer Erziehung der Frage, wie „[…] Schüler aktiviert werden könnten, [bestehende] Verhältnisse zu verändern“1. Kreativität fasste Dahle als eine Form der Selbstermächtigung auf.

Anlässlich einer geplanten Schulreform in Berlin, die musische Fächer im Lehrplan reduzieren sollte, veranstaltete die AG Kunst und Erziehung am 17. November 1971 eine erste Protestveranstaltung, im Rahmen derer Argumente für die Wichtigkeit ästhetischer Erziehung erarbeitet wurden. Daran beteiligt waren Vertreter des Deutschen Werkbundes Berlin, des Berufsverbandes bildender Künstler und des Bundes Deutscher Kunsterzieher. Die Ziele und Motive für eine kognitive Prägung der Jugend waren in der Diskussion um Didaktik meist zwischen den gesellschaftlichen Interessen der Erwachsenen und den kindlichen Bedürfnissen aufgefächert. In diesem Sinne formulierte die AG selbstkritisch in einer Tischvorlage: „Indes sollten wir uns nicht in Märtyrerillusionen wiegen: Innerhalb der Fluchtlinien der systemkonformen Indoktrination sind Entfaltung der Kreativität, formalästhetisches Vermögen, Problemlösungs- und Kritikfähigkeit für den gesamtgesellschaftlichen Fortschritt wichtige Kräfte, an deren Entwicklung auch jene ökonomisch Mächtigen interessiert sein müssten, die noch stets lieber im Hintergrund geblieben sind.“2

Die Lebensumstände von Kindern rückten in der nGbK im Jahr 1980 in den Fokus. Die Ausstellung mit dem Titel Die gesellschaftliche Wirklichkeit der Kinder in der Bildenden Kunst zeigte Darstellungen und Portraits aus vier Jahrhunderten. Darunter befanden sich neben niederländischer Genremalerei und realistischer Malerei aus dem 19. Jahrhundert auch Kinderportraits der Infant_innen der europäischen Monarchien. Ausgangspunkt für die Ausstellung war die im Jahr 1976 verabschiedete UNO Resolution zum Internationalen Jahr des Kindes. Darin wurde erneut die Forderung formuliert, Initiativen gegen Elend und Leid von Kindern zu ergreifen. Die Ausstellungsmacher_innen verfolgten das Ziel, über die Lage der Kinder aufzuklären, denn „[…] die Diskrepanz zwischen wirtschaftlichem Reichtum in unserem Land und bewußter Benachteiligung der Kinder [ist] nicht geringer geworden.“3 In einer weiteren Auflage des Katalogs wird im Vorwort die Kritik von Journalisten und Pressevertreter erwähnt, die Ausstellung sei „bildungsbürgerlich und genießerisch“4 angelegt. Dementsprechend fügte der Redakteur des Katalogs Jürgen Hoffmann in der 2. Auflage Textmaterialien zu den Themen Wohnsituation und Alkoholismus hinzu.

In seinem Artikel Kindheit als Phänomen aus dem Katalog zur Ausstellung Rosa für Jungs und Hellblau für Mädchen greift Rainer Hörmann das Thema der Historizität von Kindheit auf, indem er sich auf den französischen Historiker Philippe Ariès bezieht. Die Ausstellung, die im Rahmen dieses Diskurses im Jahr 1999 entstand, reflektiert Geschlechterrollen von Jungen und Mädchen und deren Integrität in Bezug auf ihre Sexualität.

Jugendlichkeit als Kunstpraxis verfolgte Martin Kippenberger, der sich für seine Ausstellung in der nGbK mit dem Titel Lieber Maler, male mir… im Jahr 1981 Malverbot erteilte. Er beauftragte einen Panorama-Maler, dessen Vornamen Werner er sich auch für die Signatur der Werke borgte. In der begleitenden Publikation Durch Pubertät zum Erfolg5 verwendete er Zeitungsausschnitte, Fotografien, Gedichte und Aphorismen, um Privates und Öffentliches, Fiktion und Fakt zu vermischen. Mit seinem Ruf als Berufsjugendlicher etablierte er eine unangepasste Haltung sowie die Regelüberschreitung als Kunstpraxis. Der Künstler erschuf mit „Kippenberger“, eine existenzielle Figur, die viele für eine ungehobelte Selbstinszenierung hielten und die mit ihrer Widersprüchlichkeit provozierte. Jugendlichkeit ist bei Kippenberger ein Motiv der Unfähigkeit zur Anpassung und der damit verbundenen Aggression und Verletzbarkeit.

Der Blick auf den dritten Lebensabschnitt wurde auch in der nGbK erst spürbar, als die Nachkriegsgeneration in den 2000er Jahren selbst in das Alter der etablierten Klasse kam und ein zweites Mal 68 wurde. Im Vergleich zum Thema Jugend widmete man sich mit der Ausstellung Ein Leben lang im Jahr 2008 erst vergleichsweise spät der dritten Phase des Lebens und der „Kunst des Alterns“.

Sara Hillnhütter, 2015, überabeitet 2019


  1. Ästhetische Erziehung, Dokumente und Argumente, Internes Arbeitspapier, hrsg. v. Arbeitsgemeinschaft Kunst und Erziehung in der NGBK, Berlin 1971, S. 11. 

  2. Ebd., S. 2. 

  3. Vorwort, in: Die Gesellschaftliche Wirklichkeit der Kinder in der Bildenden Kunst, NGBK und Staatliche Kunsthalle, Elefanten Press, Berlin 1980, S. 8 

  4. Ebd. 

  5. Martin Kippenberger: Durch Pubertät zum Erfolg, NGBK, Berlin 1981.