Unter politisch gegensätzlichen Vorzeichen thematisierten im Jahr 1984 gleich zwei Westberliner Jubiläumsausstellungen historische Ereignisse im Berlin der Jahrhundertwende und entfachten dadurch kontroverse Debatten über nationale Geschichtsschreibung im Allgemeinen und den Umgang mit der deutschen kolonialen Vergangenheit im Besonderen.
Im Rahmen der Berliner Festwochen widmete sich die Berlinische Galerie in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste der wilhelminischen Jahrhundertwende und realisierte das groß angelegte Ausstellungsprojekt Berlin um 1900.1 Parallel zum Schwärmen „vom Gefühl der rasenden Großstadt, der Elektrifizierung und dem deutschen Pioniergeist […], nähert[e] sich ein ‚Geburtstag’, der nicht so recht ins 1900-Konzept“2 passen wollte: das 100jährige Jubiläum der Berliner Kongo-Konferenz.3 Eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte war in den Museen und Kultureinrichtungen West-Berlins jedoch nicht vorgesehen. Angesichts dieser Ignoranz fragte ein Rezensent, ob es denn Zufall sei, „dass in dem ganzen Rummel um Berlin um 1900 der Aspekt des ‚Kolonialismus’ gar nicht auftaucht[e]?“4.
Die nGbK hingegen nahm mit der Ausstellung Afrika – 100 Jahre Einmischung den Jahrestag zum Anlass einer kritischen Revision. Für die Arbeitsgruppe stand die Notwendigkeit einer angemessenen historischen Aufarbeitung im Mittelpunkt.5 Im Vorwort zum Ausstellungskatalog hielt man fest, dass der Kolonialismus und seine Nachwirkungen noch immer „Teil unserer Gegenwart [ist]. Wie der Faschismus ist auch der Kolonialismus ein Teil unserer Geschichte.“6 Das Vorhaben stieß allerdings auf Widerstand: Aufgrund von politischen Vorbehalten der kooperierenden Institutionen und des Berliner Senats wurde die Ausstellung als nicht förderungswürdig eingestuft. Man habe, so heißt es in einer Reaktion der Arbeitsgruppe auf die Zensur, an „Texttafeln Anstoß genommen, die die historische und politische Einordnung von Exponaten erleichtern sollten.“7 Die Ausstellung fand trotzdem statt, allerdings musste die nGbK das Ausstellungsprojekt – erstmals in der Geschichte des Kunstvereins – komplett aus eigenen Mitteln finanzieren.
Es folgten weitere Ausstellungen zu (post)kolonialen Themen8, die die historische Perspektive zugunsten einer künstlerischen oder theoriebildenden Auseinandersetzung verschoben.
So fand im Jahr 1991 nach der Entlassung Nelson Mandelas und der Aufhebung des Verbots des African National Congress (ANC) eine fotografische Bestandsaufnahme Südafrikas im Rahmen der Gruppenausstellung Alltag Schwarz-Weiß statt. „Wirklichkeit kommt häppchenweise zu uns und immer nur in bestimmten Ausschnitten. Es ist immer nur ein Stück vom Alltag, ein Stück vom Ganzen zu sehen”9, lautete ein Kommentar in der Ausstellung. Fragen zur Repräsentation und Reproduktion hegemonialer Machtverhältnisse in der Auswahl der künstlerischen Positionen nicht überzeugend reflektiert. Von den fünf Fotograf_innen, die den von Rassentrennung und Diskriminierung geprägten Alltag dokumentieren, war lediglich Santu Mofokeng schwarzer Südafrikaner.
Mit der Ausstellung Schwarze Kunst sollte ein Raum für Künstler_innen geschaffen werden, die in ihren Werken Fragen nach Identität, Rassismus und Marginalisierung stellen. Die Ausstellung aus dem Jahr 1991 verfolgte einen nicht minder kontroversen Ansatz, indem sie ausschließlich schwarze Künstler_innen aus den USA und Kanada einlud. Der Gefahr, künstlerische Positionen illustrativ zu verwenden und Diskriminierung ungewollt zu reproduzieren, konnte die Arbeitsgruppe allerdings nicht entgehen. So lehnte eine Künstlerin ihre Teilnahme an der Ausstellung ab, um „einer erneuten Ghettoisierung keinen Vorschub zu leisten.”10
Um postkolonialer Kritik- und Theorieproduktion im außeruniversitären Kontext eine Plattform zu bieten, wurde im Jahr 2001 die Veranstaltungsreihe Postkoloniale Kritik ins Leben gerufen, die Expert_innen einlud, über Feminismus und Arbeit, Kapitalismuskritik und postkoloniale Kunstproduktion zu sprechen.11 Im Jahr 2009 folgte die Diskussionsreihe Re/positionierung mit dem Anliegen, „einen Raum innerhalb des Berliner Kunstbetriebes zu schaffen, in dem Rassismus, Kritisches Weißsein und Perspektiven of Color insbesondere auch im Hinblick auf die Rezeption von Kunstgeschichte und zeitgenössisches, künstlerisches Schaffen besprochen und reflektiert werden”.12 In ähnlicher Weise forderte die Ausstellung Making Mirrors (2011) dazu auf, die Mehrheitsperspektiven auf dominante Körperbilder und Sichtweisen zu hinterfragen. Mit künstlerischen Arbeiten zwischen Kunst und Aktivismus sollte das Publikum aktiv in die Ausstellung einbezogen werden, um damit „die Erfahrung von Kunst aus dem Bereich des bloßen Betrachtens”13 zu lösen.
Auch wenn aus historischer Perspektive der Kolonialismus beendet scheint, bleiben seine vielschichtigen Folgen auch in Berlin allgegenwärtig, weshalb es nach wie vor im Sinne eines postkolonialen Verständnisses von Gesellschaft und insbesondere Kulturarbeit wichtig ist, die bis in die Gegenwart hinein wirkmächtigen kolonialen Diskurse, Bilder und Denkmuster zu dekonstruieren: von den Initiativen zur Umbenennung jener Berliner Straßen, die Namen und Bezeichnungen aus der Kolonialgeschichte tragen14, über kulturpolitische Diskussionen um die Rekonstruktion des preußischen Stadtschlosses und dem Einzug der ethnologischen Sammlungen ins Humboldt-Forum15, über Debatten um die Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama bis hin zur Rückgabe der Gebeine namibischer Opfer, die sich über hundert Jahre in der Sammlung des Medizinisch-Historischen Museums befanden.
Eylem Sengezer, 2015, überarbeitet 2019
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Berlinische Galerie in Verbindung mit der Akademie der Künste und der Berliner Festspiele zu den Berliner Festwochen 1994, Akademie der Künste, 9.9.-28.10.1984. ↩
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Pit Mischke: „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann“, in: Der Stachel, 1.11.1984. ↩
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Am 15. November 1884 fand auf Einladung Bismarcks und des französischen Premiers Fery in Berlin eine internationale Konferenz statt, die die koloniale Aufteilung Afrikas festlegen sollte. Die Grenzen, die mit Stift und Lineal gezogen wurden, sind bis heute Gegenstand von Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen. ↩
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Mischke, 1984 ↩
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Manfred O. Hinz, Helgard Patemann, Arnim Meier: Vorwort, in: Weiss auf Schwarz. 100 Jahre Einmischung in Afrika. Deutscher Kolonialismus und afrikanischer Widerstand, Elefanten Press, Berlin 1984. ↩
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Ebd., S. 6. ↩
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Raul Gersson: Zensur in der Urania, in: Zitty, 9.11.1984. ↩
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Der Postkolonialismus, postkoloniale Theorie oder postcolonial studies ist ein theoretisches und künstlerisches Debattenfeld, welches das Fortbestehen kolonialer Machtasymmetrien und Repräsentationsformen des nicht-westlichen Anderen im Selbstverständnis des Westens problematisiert und zum Ziel hat, diese zu dekonstruieren. Eine Einführung bieten Castro Varela, María do Mar; Dhawan, Nikita: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. Transcript Verlag, Bielefeld 2005. ↩
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Elke Melkus: Der bittere schwarze Alltag. Kreuzberg: Fünf Fotografinnen und Fotografen aus Südafrika, in: Berliner Zeitung, 16.4.1991. Das Zitat stammt aus der Ausstellung. ↩
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Sabine Vogel: Jeder ist eine Minderheit. Auf der Suche nach der Schwarzen Kunst. Ausstellung in der NGBK, in: Der Tagesspiegel, 8.1.1992. ↩
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Vgl. Pressemitteilung, Postkoloniale Kritik, NGBK 2001. ↩
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Sandrine Micossé-Aikins: Einleitung, in: Re/Positionierung – Critical Whiteness/Perspectives of Color, NGBK, Berlin 2009, S. 4. ↩
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Einleitung, in: Making Mirrors. Von Körpern und Blicken, NGBK, Berlin 2011, S. 4. ↩
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Vgl. Christian Kopp, Marius Krohn: Blues in Schwarzweiss. Die Black Community im Widerstand gegen kolonialrassistische Straßennamen in Berlin-Mitte, http://berlin-postkolonial.de/publikationen/orte-afrikanisches-viertel, zuletzt aufgerufen am 22.1.2020. ↩
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Vgl. http://www.no-humboldt21.de/, zuletzt aufgerufen am 22.1.2020 ↩