Berlin war bis zum Jahr 1989 eine geteilte Stadt, in der eine Mauer zwei Staaten – BRD und DDR, Demokratie und realsozialistische Diktatur, Westmächte und Ostblock– voneinander trennte. Trotz dieser Teilung gab es in der nGbK ein Interesse an der Zusammenarbeit mit DDR-Institutionen und der Realisierung von Ausstellungen von und mit DDR-Künstler_innen. Mit John Heartfield (1969) und Alice Lex-Nerlinger/Oskar Nerlinger (1975) gab es in den Anfangsjahren gleich zwei monographische Ausstellungen von kommunistischen Künstler_innen, die nach dem Ende des Kriegs aus politischer Überzeugung in die DDR gezogen waren. Sie verstanden unter Kunst ein gesellschaftliches und gesellschaftlich wirksames Produkt und fanden damit in der DDR ihre Heimat – entsprachen damit aber auch dem damaligen Kunstverständnis der nGbK. So zielte die Ausstellung Alice Lex-Nerlinger/Oskar Nerlinger (1975) darauf ab, „verstärkt das Schaffen namhafter Wegbereiter sozialistischer Kunst der breiten Öffentlichkeit zugänglich [zu machen].”1 Doch Kunst hatte in der DDR eine ambivalente Rolle. Die Künstlerin Barbara Puttbrese bringt es auf den Punkt: „Kunst hatte eine große Bedeutung, wurde staatlich gefördert, aber gleichzeitig mit neurotischem Mißtrauen betrachtet und die Behörden hatten ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle. Die Einflußnahme reichte vom Auftrag zu zweckdienlicher Schönfärberei, die zu Kunst erklärt wurde, über vorsichtiges ‚Leiten‘ und ‚Lenken‘ bis zum rigorosem Verbot einzelne Werke öffentlich zu zeigen.“2
Zu erneuten Kooperationen zwischen Institutionen in West und Ost kam es dann erst wieder im Jahr 1989 während der politischen und gesellschaftlichen Umbruchszeit. Drei Ausstellungen widmeten sich der Alltagskultur der DDR. Im Mittelpunkt stand die Neugier auf den fremd gewordenen Nachbarn. Mithilfe von Fotografien alltäglicher Sujets sollten Einblicke in das Leben der DDR vermittelt werden. Die Ausstellung mit Werken von sieben Fotografinnen aus der DDR wurde in Zusammenarbeit mit der Alternativen Liste Berlin und mit Unterstützung der DDR-Frauenzeitschrift Für Dich realisiert. Die Ausstellungen verstanden sich auch als Brückenbauer: „Fotografien laden ein, sind Begegnungen. Sie öffnen nicht nur den Blick, sondern vermögen auch Grenzen zu überwinden. Fotografien erzählen von Nachbarn.“3
Die Reaktionen auf die Ausstellungen sind ambivalent. In ihnen finden sich sowohl sympathisierende als auch skeptische Stimmen – insbesondere was die staatlich-ideologische Beeinflussung der Kunst in der DDR betrifft: Über Zwischenspiele. Junge Künstler und Künstlerinnen aus der Deutschen Demokratischen Republik heißt es: „Ebenso neugierig wie grundsätzlich wohlwollend, fast schon nachsichtig, also unbedingt auch mißtrauisch, schaut der westliche Betrachter auf die Kunst des ‚anderen Deutschlands‘.“4 Was man zu sehen bekommt, sei eine „aufregende Provokation für den westlichen Blick“5, wie Anke Sterneborg schreibt. Die Ausstellung ist die erste Zusammenarbeit einer westdeutschen Institution mit dem Verband Bildender Künstler der DDR und wurde vom damaligen regierenden Bürgermeister Walter Momper eröffnet. Ihr Ziel: „Anzuecken in den Köpfen derjenigen, die Kunst aus der DDR immer noch unter ideologischen Gesichtspunkten betrachten und damit abwerten.“6
Zwei Jahre später blickten zwei weitere Ausstellungen aus feministischer Perspektive auf die DDR: Charme, Zement und Schwefelsäure versammelte Frauenbilder aus DDR-Zeitschriften der 1950er Jahre, in denen die Widersprüche zwischen dem neuen Idealbild der „befreiten“ Frau und traditionellen Frauenbildern sichtbar wurden.
Mit Außerhalb von Mittendrin wurde das Ansinnen verfolgt, „ein westliches Publikum mit Arbeiten bekannt zu machen, die abseits der staatstragenden Kultur in der DDR entstanden waren. Der Fall der Mauer brachte als weitere Dimension die Reaktion von Frauen auf die Umbruchsituation sowie die deutlicher sichtbaren kulturellen und ästhetischen Unterschiede in Ost und West ein.“7 In Zusammenarbeit mit westdeutschen und österreichischen Positionen suchte das Projekt nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Wahrnehmung von „Frauenkunst“.
In einem von der nGbK verfassten Gutachten aus dem Jahre 1992 heißt es: Die Zusammenführung von Ost und West vollziehe sich vor allem für Berliner aus dem Ostteil der Stadt vergleichsweise schmerzhaft: „Die Abwicklung von kulturellen und sozialen Einrichtungen, die unsichere Perspektive im Falle eines Zusammenfügens zweier Einrichtungen und das Schließen zahlreicher Unternehmen haben Probleme mit sich gebracht, deren Bewältigung nicht absehbar ist. Die Ungleichbehandlung ist im Alltag vorprogrammiert.“8
Bereits in der Einzelausstellung des Fotografen Ulrich Wüst aus dem Jahr 1993 ist die DDR im Verschwinden begriffen; der Blick wird historisch, zuweilen auch melancholisch. Passend dazu lautete das Stichwort der Ausstellung Wunderwirtschaft „Ostalgie“. Sie setzte sich 1997 mit der DDR-Konsumkultur und dem Produktdesign der 1960er Jahre auseinander. Ethnologiestudent_innen der Humboldt-Universität Berlin nahmen Objekte der DDR-Alltagskultur in den Blick: „In der Sammlung, die kein ‚DDR-Heimatmuseum‘ sein will, wird mit dieser Ausstellung eine ‚Heimatkunde‘ vermittelt, die dem Besucher eine melancholisch-amüsierte Wiederbegegnung mit einer jüngst entschwundenen Lebenswelt ermöglicht.“9 Wie lässt sich angemessen an die DDR erinnern? Und wie geht man mit DDR-Denkmälern um? Diese Fragen stellten sich auch Arbeitsgruppen in der nGbK zum Beispiel in der Ausstellung Erhalten – Zerstören – Verändern, Denkmäler der DDR in Ostberlin (1990). Auch in der Ausstellung und der gleichnamigen Publikation Das Jahr 1990 freilegen (2019) in der station urbanen kulturen geht es um Erinnerung und die Frage, warum 1989 so präsent ist, während das Jahr 1990 einen blinden Fleck darstellt. Sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, helfe aktuelle Entwicklungen besser zu verstehen lautet die These: „Wer die Gegenwart lesen will, muss beim Jahr 1990 einsetzen.“10
Während ein Großteil der DDR-Institutionen nach der Wendezeit aufgelöst oder umbenannt wurde, konnte sich der Wettbewerb Kunst statt Werbung behaupten. Er fand erstmals im Jahr 1958 in Ostberlin statt und rief Künstler_innen auf, Plakate für den Frieden zu entwerfen. Die eingereichten Arbeiten wurden an den Hintergleiswerbeflächen am U-Bahnhof Alexanderplatz ausgestellt. Unter der Ägide der nGbK-Arbeitsgruppe U2 Alexanderplatz wurde der Wettbewerb fortgesetzt und fungiert heute unter dem Namen *Kunst im Untergrund * – 2018 wurde mit einer Ausstellung und einem Plakatwettbewerb vor Ort das 60-jährige Jubiläum begangen.
Anna-Lena Wenzel und Eylem Sengezer, 2015, überarbeitet 2019
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Olbricht, Harald: Vorwort, in: Alice Lex-Nerlinger/Oskar Nerlinger hrsg. v. NGBK Berlin, 1975, S. 2. ↩
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http://ngbk.de/alexanderplatz/1990-2005/barbara_putbrese.html, Zugang vom 16.12.2015. ↩
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Ruhnau, Heinz: o.T., in: Zwischen Elbe und Wolga, Heidelberg 1988, S. 5. ↩
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Der Tagesspiegel, 22.10.1989 (Anke Sterneborg). ↩
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Ebd. ↩
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Roloff-Momin, Ulrich: Zu dieser Ausstellung, in: Zwischenspiele, NGBK, Berlin 1989, S. 5. ↩
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Die Union, 21.6.1991 (o. A.). ↩
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NGBK: Kunstwettbewerb Übergänge – Zusammenfassung des bis bisherigen Diskussionsprozesses, Darstellung des aktuellen Stands der Überlegungen und Vorschläge für das weitere Vorgehen, Berlin 1992. Der Wettbewerb Übergänge, dessen Planungen kurz nach der Wende begannen, wurde dann erst 1996 von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ausgeschrieben und in den Jahren 1997-1999 an ehemaligen innerstädtischen Grenzübergängen wie Checkpoint Charlie, Oberbaumbrücke, Bornholmer Straße, Chausseestraße etc. umgesetzt. ↩
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Züricher Zeitung, 19.11.1996 (Kai-Uwe Scholz). ↩
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Ausstellungstext, Das Jahr 1990 freilegen oder: Aufführung eines Buches ↩