Vermittlung

Die Frage, welche Funktionen die Bildende Kunst in unserer Gesellschaft einnehmen kann, ist eng gekoppelt an die Frage ihrer Vermittlung. „[Wir können] die bildende Kunst nicht losgelöst von den ökonomischen Verhältnissen dieser Gesellschaft betrachten […], noch losgelöst von ihrer Vermittlung und Anwendung“, heißt es in einer der ersten Publikationen. 1 Kunst wird als Mittlerin für politische Inhalte verstanden; sie soll bilden und hat damit eine konkrete Funktion zu erfüllen, statt nur für sich zu stehen. Kunst kann helfen, über historische Zusammenhänge aufzuklären und auf diese Weise „zu einer bewussteren Einordnung der eigenen Situation beitragen und die Kritik- und Entscheidungsfähigkeit im gesellschaftlichen Zusammenhang fördern.” 2
Im Jahr 1977 beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe mit Gustave Courbets Gemälde Die Woge mit dem Ziel, „das Bild aus seiner heutigen musealen Isolation lösen und so den Sozialbezug und die gesellschaftskritische Aussage für den Betrachter wieder erfahrbar machen.“ 3 Zu diesem Zweck entstanden eine Materialsammlung und ein Film. Konkret soll der „Film für den kunst- und sozialkundlichen Unterricht in der Schule sowie für den Museumsbesucher nutzbar [gemacht] und Grundlagenmaterial für eine weitere Bearbeitung des Themas bereit [gestellt werden].“ 4

Mit der Schule und dem Museum werden zwei klassische Bildungsorte für Kunstvermittlung benannt. Im Projekt Unmittelbare Vergangenheit. Drei Kulturvermittler der 80er Jahre (1999) geht es darum, wer die Inhalte in diese Institutionen bringt. Die Ausstellung widmet sich drei Personen, die sich darum bemühten, subkulturelle Bewegungen sichtbar zu machen. Christian Borngräber, Wolfgang Max Faust und Manfred Salzgeber war gemein, dass sie „die späteren Trends frühzeitig wahrnahmen, sie engagiert zeigten, unterstützten, promoteten, publizierten und ihnen nicht nur eine Berechtigung, sondern eine Notwendigkeit zuschrieben, ihnen Platz einräumten im kulturellen Leben und ihnen eine Geschichte gaben.” 5

Im selben Jahr geht aus einem Seminar von Carmen Mörsch am Institut für Kunst im Kontext die Künstlerinnengruppe Kunstcoop© hervor. Erklärtes Ziel: künstlerische Kunstvermittlung und die Schaffung von verschiedenen Zugängen zu aktueller Kunst für eine breitere Öffentlichkeit und die Verwicklung von verschiedensten Menschen in Prozesse der Auseinandersetzung und Aneignung. 6 Die Gruppe wird mit dem Vorschlag, künstlerische Vermittlungsangebote zu realisieren, um neue Besucher_innen für die Angebote der nGbK zu interessieren, von der Hauptversammlung auf den ersten Platz gewählt.
Doch die Realisierung der Kunstvermittlungsprojekte gestaltet sich schwieriger als erwartet, denn „die unterschiedlichen Interessen der AusstellungsmacherInnen, die eher an einer klassischen Vermittlung möglichst nahe an den von ihnen erarbeiteten Inhalten interessiert sind, und das Anliegen der VermittlerInnen [prallen] aufeinander.“ 7 „Dennoch“, resümiert Carmen Mörsch im Jahr 2009, „auch Kunstcoop© hat Schule gemacht. Die Arbeit der Gruppe, die das Programm der NGBK zwei Jahre lang begleitete, bildet bis heute eine Referenz für diejenigen VermittlerInnen, die ihre Arbeit als kritische und eigenständige Praxis begreifen und daher auch zu kultur- und bildungspolitischen Instrumentalisierungen auf Distanz gehen.“ 8

Seit dem Jahr 2008 gibt es in der nGbK ein einjähriges Stipendium für künstlerische Kunstvermittlung, das in der Anfangszeit oft um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Vor dem Hintergrund des Symposions Störungen im Offenen, das die Reflexionen zum zehnjährigen Bestehen des Stipendiums und seines Gegenstands, der künstlerischen Kunstvermittlung, bündelte, wurde die Ausschreibung und Zielgruppe des Stipendiums neu überdacht. Auf dem Symposion kritisierten die teilnehmenden Vermittler_innen die Aneignung ihres Wissens, ihrer Praktiken und Perspektiven durch kuratorische und künstlerische Praktiken sowie ihre fortbestehende Marginalisierung. Vor diesem Hintergrund wurden auch Stimmen laut, die das Stipendium für künstlerische Kunstvermittlung als eine weitere Künstler_innenförderung kritisierten und deutlich machten, dass dies eines von nur zwei Stipendien im deutschsprachigen Raum ist, das dezidiert Vermittler_innen fördert (das andere wird vom Kunstmuseum Wolfsburg ausgeschrieben).

Emanzipatorische Vermittlungsdebatten verstehen Vermittlung als Bereitstellung von Schutzräumen des (Ver-)Lernens, die gerade nicht der Innovations- und Repräsentationslogik folgen, die man häufig im Kunstfeld antrifft, sondern sich vielmehr postrepräsentativen Praktiken zuwenden (Nora Sternfeld 9). Ein postrepräsentatives Vermitteln aber könnte aus mannigfaltigen Zugängen und Praktiken kommen – aus künstlerischen, edukativen, kulturanalytischen oder aktivistischen, um nur einige zu nennen. Das künstlerische wäre hier eine Praxis unter vielen anderen. So bezeichnete die Umbenennung von „Stipendium für künstlerische Kunstvermittlung“ in „Vermittlungsstipendium“ eine Erweiterung der Gegenstandsbereiche, Perspektiven und Zugänge, die hier gefördert werden. Die Initiator_innen dieser Umbenennung hofften, damit der kunst- und kulturkritischen Positionierung der nGbK gerecht zu werden.

Anna-Lena Wenzel mit Anna Bromley, 2015, überarbeitet 2020


  1. Funktionen der Bildenden Kunst in unserer Gesellschaft, NGBK, Berlin 1971, S. 5. 

  2. Drehbuch und Materialien zum Film: Nur eine Woge, NGBK, Berlin 1977, S. 3. 

  3. Ebd. 

  4. Ebd. S. 2. 

  5. Wagner, Frank: Unmittelbare Vergangenheit – Unterbrochene Karrieren, in: Unmittelbare Vergangenheit – Unterbrochene Karrieren, NGBK, Berlin 1999, S. 5f. 

  6. Vgl. Lüth, Nanna: queens of kunstvermittlung, in: Kunstcoop. Künstlerinnen machen Kunstvermittlung, NGBK, Berlin 2002, S. 64. 

  7. Baumann, Leonie: Ausstellungen sind Kommunikationsräume, in: Kunstcoop©. Künstlerinnen machen Kunstvermittlung, NGBK, Berlin 2002, S. 10. 

  8. Mörsch, Carmen: Educational Einverleibung, oder: Wie die Kunstvermittlung vielleicht von ihrem Hype profitieren könnte. Ein Essay – anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von Kunstcoop©, in: 40 Jahre NGBK, Berlin 2009, S. 255. 

  9. Vgl. Sternfeld, Nora: Museum of Burning Questions. Verhandeln mit der Realität auf der Bergen Assembly 2016, in: Art Education Research, März 2017, Jg. 8 (13). https://acris.aalto.fi/ws/portalfiles/portal/16394606/AER13_sternfeld_20170329.pdf, und Sternfeld, Nora und Ziaja, Luisa: Was kommt nach der Show? Über post-repräsentationale Kuratierung, in: Open Space, Verein für ein neues Forum von Kunst und visueller Kultur, http://www.openspace-zkp.org/2013/de/journal.php?j=3&t=5