Nationalsozialismus

Unter dem Einfluss marxistischer Theorien und der Frankfurter Schule setzte sich auch in der nGbK eine Nachkriegsgeneration mit den gesellschaftlichen Voraussetzungen des Nationalsozialismus auseinander: „Wir, die nicht beteiligt waren, müssen die Antwort auf zwei Fragen finden, die unsere Eltern in der Regel nicht geben konnten. Warum war ein faschistisches System in Deutschland möglich, und wie hat es funktioniert?“1 Bis dahin hatte die deutsche Nachkriegsgesellschaft Fragen nach „Schuld und Sühne“ in wohlgefälligen Heimatfilmen aufgelöst. Erst der Bruch der 68er-Generation brachte eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den geistigen und politischen Ursachen des Nationalsozialismus hervor. Die verdrängten Bilder kamen zum Vorschein.

Angesichts der politisch aufgeladenen Stimmung zur Gründungszeit der nGbK, erschien es nur folgerichtig, dass der Kunstverein seine erste Ausstellung im Jahr 1969 dem Dadaisten John Heartfield widmete, der mit seinen politischen Fotomontagen satirisch die prä-faschistische Zeit der 1920er-Jahre kommentierte. Was Heartfield mit seinen legendären Fotomontagen zum Ausdruck brachte, besaß aufgrund der unzureichenden „Vergangenheitsbewältigung“ noch Jahrzehnte später Gültigkeit. Für manch ein Vereinsmitglied waren die käuflich erwerbbaren Nachdrucke der Fotomontagen „so wichtig wie 1945 oder 1946 die ersten Bücher nach dem Kriege“2. Der programmatische Auftakt der neu gegründeten Institution fuhr, wie Zeitzeugen bemerkten, „mit akzentuierter Schärfe – gleichsam wie ein aufreizendes Trompetensolo – mitten in die behäbige Routine des Westberliner Kulturbetriebs [hinein].“3

Von der Grundhaltung geprägt, dass „die Gefahr des Faschismus immer dann größer wird, wenn der Abbau der Grundrechte voranschreitet“4, realisierte die nGbK im Jahr 1976 in Zusammenarbeit mit dem Kunstamt Kreuzberg erstmals ein ambitioniert aufklärerisches Projekt. Die kulturhistorische Ausstellung Renzo Vespignani – Über den Faschismus zeigte rund 80 Werke des italienischen Künstlers, der in seinen Malereien persönliche Erlebnisse im besetzten Rom verarbeitete. Die künstlerischen Werke wurden durch zeitgeschichtliche Materialien und Dokumente ergänzt. Über thematische Schlaglichter wie Kirche, Justiz, Kultur, Verwaltung, Konzentrationslager, Deutsche Arbeiterfront oder Wirtschaft analysierte der begleitende Katalog detailreich die strukturellen, ökonomischen, gesellschaftlichen und ideologischen Verhältnisse des Nationalsozialismus. Der Katalog zur Ausstellung verkaufte sich 120.000 Mal und wurde sogar zu pädagogischen Zwecken im Schulunterricht eingesetzt.5 Dass die Aufarbeitung dessen, was jahrzehntelang kollektiv verschwiegen worden war, nicht jedem gefiel, wurde augenfällig, als die Vorführung von Alain Resnais’ eindringlichem Dokumentarfilm Nacht und Nebel aufgrund von Protesten abgebrochen werden musste. Wie kein anderer Film zuvor machte Resnais’ Film über die Vernichtungsmaschinerie der Konzentrationslager das schreckliche Ausmaß des Grauens sichtbar.6

Die Ausstellung 1933 − Wege zur Diktatur nahm den 50. Jahrestag der Machtergreifung zum Anlass, um „das was war, und wenn auch, in anderer Gestalt, wieder sein könnte, wachzurufen und wachzuhalten. Denn wer aus der Geschichte nicht lernt, so hat es einmal jemand ausgedrückt, der ist verurteilt, sie zu wiederholen.“7 Den inhaltlichen Schwerpunkt legte die Ausstellung − als Bestandteil einer größer angelegten, vom Berliner Senat finanzierten und vom Berliner Kulturrat organisierten Programmreihe − auf die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen im Übergang der Weimarer Republik zum NS-Staat. Die Ausstellung, die die Ursachen für die Zerstörung der Weimarer Republik zurückverfolgte und nach Antworten auf die Frage suchte, wie es überhaupt zur Machtergreifung Hitlers kommen konnte, evozierte mit ihrem konzeptionellen Ansatz harsche Kritik: „Zu vieles spielt sich auf der Panoptikumsebene ab: Schaufensterpuppen mit SA- und SS-Uniformen stehen herum, eine leere Kneipe symbolisiert ‚Naziterror’ und ‚Antifaschismus’ vor ’33, eine müde Replik von Chaplins
‚Großem Diktator’ mit Weltkugel, Spiegel zum Einüben von Posen […] und ein Konzertflügel mit Naziflagge illustrieren das bürgerliche Ambiente gegenüber dem proletarischen.“8
Einen selbsternannten Tabubruch, der die „Grenze eines aufgeklärten Antifaschismus“9 überschreiten sollte, vollzogen die Ausstellungsmacherinnen von Inszenierung der Macht* im Jahr 1987. Im Gegensatz zu bisherigen Projekten ging es in dieser Ausstellung nicht darum, die verdrängten Bilder von Gewalt, Terror und Widerstand zum Vorschein zu bringen, sondern ästhetische Herrschaftspraxis des Nationalsozialismus in den Blick zu nehmen. Die Ausstellung nahm sich diesem in der NS-Forschung bis dato vernachlässigten Thema an und wurde mit einer Kritik konfrontiert, die zwischen den beiden Polen „Verharmlosung und Vernachlässigung“10 changierte.

Erst im Jahr 2003 wurde mit Wonderyears erstmals eine Ausstellung realisiert, die mit künstlerischen Mitteln „jenseits der Opfer-Täter-Dichotomie“ eine offene Diskussion über Erinnerung und historisches Wissen der NS-Zeit und Shoah ermöglichen wollte. In Israel wurde die Ausstellung aufgrund vehementer Proteste abgebrochen und sollte nun in Berlin gegen festgefahrene Erinnerungskulturen rebellieren. Die Ausstellung umfasste 23 Arbeiten von israelisch-jüdischen Künstler*innen, die sich bewusst in einer „apolitischen und a-historischen Grauzone“11 bewegten und mit den Mitteln der Überzeichnung, Pastiche, Persiflage sowie pietätloser und popkultureller Verzerrung arbeiteten: „Alle diese Mittel kommen zur Anwendung, um unser schwärzestes Kapitel zu reflektieren, den Nullpunkt der menschlichen Evolution als Gesellschaft.“12

Eylem Sengezer, 2015, überarbeitet 2019


  1. AG-Renzo Vespignani: Vorwort, in: Faschismus – Renzo Vespignani, hrsg. v. NGBK und Kunstamt Kreuzberg, Elefanten Press, Berlin 1979, S. 5. 

  2. Peter Pfefferkorn, in: 69-99, NGBK, Berlin 1999, S. 14. 

  3. Wolfgang Ludwig, in: 69-99, S. 11. 

  4. Einleitung, S. 5. 

  5. Vgl. 21 Jahre – was nun? Zwei Jahrzehnte Neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin S. 107. 

  6. Mathias Apel in einem Augenzeugenbericht, 7.9.1976 

  7. Vorwort, in: 1933 – Wege zur Diktatur, hrsg. v. Staatliche Kunsthalle Berlin, 1983, S. 11. 

  8. Vgl. Ernst Busche: Bilder der Denunziation, in: Die Zeit, 21.1.1983, http://www.zeit.de/1983/04/bilder-der-denunziation, zuletzt abgerufen am 17.1.2016. 

  9. AG-Inszenierung der Macht: Vorwort, in: Inszenierung der Macht. Ästhetische Faszination im Faschismus, NGBK, Nishen 1987, S. 10. 

  10. Vgl. Alexandra Offermanns: „Die wußten, was uns gefällt.“ Ästhetische Manipulation und Verführung im Nationalsozialismus, illustriert am BDM-Werk ’Glaube und Schönheit’, Reihe: Texte zur Theorie und Geschichte der Bildung, Bd. 22, 2004. 

  11. Arbeitsgruppe: Vorwort, in: Wonderyears, NGBK 2003, S. 7. 

  12. Avi Pitchon: Blitzkrieg-Bopper, Orgasmus-Junkies und gruselige Monster. Die künstlerische Gemeinschaft hinter „Wonderyears“. Ein Manifest, in: Wonderyears, NGBK, Berlin 2003, S. 26.