Kunst im öffentlichen Raum bedeutet zweierlei: die Kunst aus dem institutionellen Raum herauszuholen und in die Stadt zu erweitern und sie für eine Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die nicht kunst-spezifisch ist. Künstlerische Praxen, die in den öffentlichen Raum gehen, können dabei verschiedenste Formen annehmen und Intentionen verfolgen. Im Projekt Gröpelingen 1878–1978 (1979) ging es um die Erstellung eines Wandbildes und damit um eine klassische Kunst-am-Bau-Arbeit. In vielen Projekten werden traditionell für Werbung genutzte Flächen für künstlerische und politische Botschaften umgenutzt: So gab es unter anderem eine Plakataktion von Barbara Kruger unter dem Motto Dein Körper ist ein Schlachtfeld (1991) sowie Plakate von GENERAL IDEA zum Thema AIDS und Valie Exports provokante Aktionshose: Genitalpanik in Großformat. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten im öffentlichen Raum der nGbK lag und liegt dabei im Untergrund: in der Bespielung des U-Bahnnetzes. Warum U-Bahn? Weil mit Marc Augé diese „der Ort schlechthin [ist], der Ort der Konfrontation, ein gesellschaftliches Konzentrat, eine Art öffentlicher Platz.“1
Der Fokus ergab sich im Jahr 1992, als die nGbK die Trägerschaft für das Projekt Kunst statt Werbung übernahm. Das Projekt führte die Tradition eines Wettbewerbs in der DDR fort, der erstmals 1958 stattfand und dazu aufrief, Plakate für den Frieden zu entwerfen. Die Reproduktionen wurden unter dem Titel Frieden der Welt auf den Hintergleisflächen des U-Bahnhofs Alexanderplatz ausgestellt. Unter wechselnden Namen (Berlin – Stadt des Friedens, Kunst und Literatur für den Frieden, Denken an Revolution) fanden in unregelmäßigen Abständen bis zum Jahr 1989 Ausstellungen in dem U-Bahnhof statt. Auch nach der Wende wurde der Wettbewerb fortgesetzt. Unter dem Namen Kunst statt Werbung konstituierte sich im April 1991 eine Arbeitsgruppe unter der Trägerschaft des BBK-Bildungswerks, die 1992 zur nGbK wechselte und von der Senatsverwaltung finanziell unterstützt wurde.
Seit 2001 arbeitete die Arbeitsgruppe unter dem Namen Berlin Alexanderplatz U2. Im Jahr 2008 wurde der U-Bahnhof Alexanderplatz von Werbetreibenden beansprucht und damit eine Fortsetzung des Wettbewerbs in der bisherigen Form verunmöglicht. Nach längerem Hin und Her entschied sich die nGbK, den Wettbewerb unter anderen Bedingungen, ohne festen U-Bahnhof, weiter zu führen.
Die neue gegründete AG Kunst im Untergrund ging örtlich und inhaltlich neue Wege. Fortan stand nicht mehr der U-Bahnhof Alexanderplatz, sondern selbstgewählte Bahnhöfe oder eine U-Bahn Linie im Mittelpunkt, wie beim Projekt U10 – von hier aus ins Imaginäre und wieder zurück (2009-2011). Es folgten die offenen Wettbewerbe Vorne fahrn, Nach der Arbeit und Was ist draußen. Seit 2014 engagieren sich Mitglieder der Arbeitsgruppe in der Großsiedlung Berlin-Hellersdorf. Die sogenannte station urbaner kulturen ist ein diskursiver Veranstaltungs- und Ausstellungsraum und ein Ort für gemeinsames Arbeiten von Künstler_innen und Anwohner_innen. Er wird ergänzt durch eine Grünfläche direkt neben dem U-Bahnhof Cottbusser Platz, die beispielhaft für die öffentlichen und kostenlosen Orte für Kultur und Freizeit in der Stadt steht, die sukzessive von Bebauung bedroht sind.
Kunst im öffentlichen Raum erreicht einerseits viel mehr Menschen, als wenn sie im White Cube ausgestellt wird, andererseits ist sie ungeschützter und muss sich die Aufmerksamkeit erst erkämpfen. Karin Rebbert resümiert im Katalog U10 – von hier aus: „Das Kunst-im-Untergrund-Projekt der NGBK, das über die Jahre verschiedene Wandlungen durchlief, zählte täglich (zehn-)tausende Betrachter_innen und prägte gleichzeitig den Fachdiskurs über Kunst im öffentlichen Raum und urbane Entwicklungen maßgeblich mit.“2 Gleichzeitig weist Leonie Baumann darauf hin, dass „die Rezeptionsgeschichte der Kunst im öffentlichen Raum […] bis in die 1990er Jahre keine Erfolgsgeschichte [ist].“3 Weder konnte sie die hohen Erwartungen einlösen, mit ihrem aufklärenden Charakter die Gesellschaft positiv zu verändern, noch stieß sie auf breite Akzeptanz und Interesse der Öffentlichkeit. Als Konsequenz daraus wurden die differenzierten Erwartungshaltungen, Kenntnisse und Fähigkeiten des Publikums stärker in den Mittelpunkt gestellt: „Es wird nicht mehr für die Besucher_innen, sondern mit ihnen gearbeitet.“4
Diesen Ansatz verfolgte auch das Ausstellungsprojekt integrale Kunstprojekte, das im Jahr 1993 an verschiedenen Orten stattfand. Die Kunstprojekte „involvieren in zwei Richtungen: Motiviert durch inhaltliche Konzepte, dringen sie in gesellschaftliche Bereiche vor und sind, auf das jeweilige System eingehend, situative Arbeiten. Sie haben meist eine fest umgrenzte Zielgruppe und beziehen ihre Betrachter als Beteiligte ein.“5 Das bedeutet: „Eine Kunst im öffentlichen Interesse löst die Kunst im öffentlichen Raum ab.“6 Das Problem: Diese partizipativen Projekte schränken die Öffentlichkeit, die angesprochen wird, ein. Je konkreter und intensiver mit bestimmten Öffentlichkeiten gearbeitet wird, desto exklusiver wird es. Eine Herausforderung, der immer wieder neu begegnet werden muss.
Anna-Lena Wenzel, 2015, überabreitet 2019
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Augé, Marc: Kunst als Übergangsritual, in: U10 – von hier aus ins Imaginäre und zurück, NGBK, Berlin 2011, S. 19. ↩
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Rebbert, Karin: Grußworte, in: U10 – von hier aus ins Imaginäre und zurück, NGBK, Berlin 2011, S. 15. ↩
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Baumann, Leonie : Zurückbleiben war gestern, in: U10 – von hier aus ins Imaginäre und zurück, NGBK, Berlin 2011, S. 30. ↩
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Baumann (2011), S. 33. ↩
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Kliege, Melitta: Mit der Kunst aus der Kunst, in: integrale Kunstprojekte, NGBK, Berlin 1993, S. 13. ↩
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http://www.u10-berlin.de/d-konzeption.htm ↩